
Styx als mystisches Gewässer, das eine Trennung zwischen Aufbau und Zerstörung sowie Leben und Tod darstellt. Der Roman spielt mit der Neugründung und Neufindung nach einem Lebensdrama. Dabei spielen ein Garten und die Oper eine enorme Rolle. Beides sind Inszenierungen, die geplant, aufgebaut werden müssen und intensive Zuwendung benötigen. Es ist wohl das subtilste Werk von Jürgen Bauer. Der Inhalt ergießt sich ganz langsam in einen hinein. Am Anfang erahnt man nicht, was der Roman will und dann öffnen sich viele Fenster zum Garten. Ein Gartenbild voller Musik, Leidenschaft, Schönheit und Verderbnis. Wir betreten alle das Lebensspiel und benötigen Mitspieler und Halt durch Zuwendung, Gesten und Worte. Was, wenn diese ausbleiben? Wenn der eigene Text vergessen und keine Souffleuse behilflich ist? Gärten können ebenfalls wie Bühnen Geschichten erzählen.
Es ist die Geschichte einer Souffleuse. Ihre Mutter war eine Opernsängerin, die bekannt dafür war, dass sie besonders die großen Rollen meisterte. Doch gerade dies ist einer der Wendepunkte, denn als die Mutter in ihrer Rolle auf der Bühne stirbt und gleich darauf ganz lebendig umjubelt wird, verändert sich die Sicht der Erzählerin. Später ist es der Verlust ihres Mannes, einem gefragten Opernregisseur, der sie straucheln lässt. Es ist die Zeit der Pandemie und nicht nur die Kultur leidet. Die derzeitige Intendantin lässt die Werke vor leeren Sälen für ein Internet-Publikum spielen. Bei einer solchen Aufführung kommt es zum Bruch. Die Sängerin vergisst ihren Text und die Souffleuse will ihr diesen nicht sagen. Danach macht die Erzählerin, die Souffleuse, eine Pause und begibt sich zur Hütte im Garten, den ihr Mann damals geplant und angelegt hatte. Doch ist dieser gänzlich verwildert und der Teich droht umzukippen. Das Leben um die Erzählerin bahnt sich seinen Weg, doch ist sie selbst damit überfordert. Bis ein Hund, den sie Hans Styx nennt, in ihr Leben tritt. Der Hund und ein plötzlich auftauchender Gärtner, der seine Hilfe anbietet, bringen den verlorenen Halt zurück. Auch die Intendantin interagiert und versucht, sie für die Oper erneut zu begeistern. Das Neue kann in ihr aber nur beginnen zu wachsen, wenn sie die schmerzhaften Wurzeln in sich erkennt. Ein Schmerz aus verdrängten Schuldgefühlen.
Dieser Roman beginnt leise und steigert sich zum Crescendo, der die Wahrnehmungen und die Welt der Erzählerin mit den Zeiten, den Emotionen und Erlebnissen überlagert. Die individuelle Geschichte eint sich hier mit der Angst vor dem Aus der Kultur durch die Auswirkungen der Pandemie. Das Leben wird in der Naturmetapher als unabhängig vom Menschen erlebbar. Es sind unsere Interpretationen, unsere Umsetzungen und Bilder, die wir zu unserem Lebenswerk kreieren.
Jürgen Bauer erzeugt eine Lebendigkeit, die der Trauer, dem schmerzhaften Verlust und der übersprudelnden Freude eine Bühne gibt. Ein Roman, der durch die Jahreszeiten wandelt und dabei wie eine Oper aufgebaut ist und dabei genau auf jene neugierig macht. Das Buch spielt mit der Trennung, der Abgeschiedenheit und der Distanz, um dann letztendlich die Nähe zu zelebrieren.
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