Alain Damasio: „Die Horde im Gegenwind“

Ein Sturm bricht an, denn endlich weht auch bei uns dieser Wind. Alain Damasio ist ein fantastischer Visionist und Weltenerzeuger. Welten, die unserer fern wirken, um dann durch die beschriebene Weltengeschichte letztendlich auf uns und unsere Gegenwart zu schauen. In Frankreich haben seine Werke Kultstatus und werden gefeiert. Endlich ist der Sensationserfolg auf Deutsch erhältlich: „Die Horde im Gegenwind“. Erneut übersetzt von Milena Adam. Bisher gab es von dieser windigen Komplexität nur die Comicadaption von Éric Henninot (ebenfalls lesenswerte Leseschätze). „Die Horde im Gegenwind“ und das vorher erschienene Werk „Die Flüchtigen“ sind Leseschätze, die uns im positiven Sinne herausfordern. Beide Romane beschreiben komplett andere Welten und gehören unabhängig gelesen. Doch eint sie das fantastisch Visionäre. Der Umfang der Werke minimiert sich in der Wahrnehmung zügig, denn die Visionen und Handlungen fesseln. Ein kritischer und märchenhafter Blick auf unsere Gesellschaft. Die Texte verzaubern die Realität und man gerät in einen Leserausch, der jeweils bis zum Ende anhält. Handlung und Sprache hinterlassen übersprudelnde Gedankenbilder.

Die Visionen beider Werke spielen am Ende unserer jetzigen kapitalistischen Gesellschaft. Die Überwachung bei „Die Flüchtigen“ ist nicht zum Schutz, sondern gilt der Gedanken- und Kaufkraftsteuerung. Allein jene Flüchtigen sind entkommen. Wir Menschen machen stets gehörig Wind. Ein Wind der sich unserer Schnelllebigkeit anpasst. Zuweilen ist es ein Lüftchen, aber meist bläst er uns so kräftig an, dass wir den Halt verlieren. Wir werden alle zu Hordlern, die nur noch die Chance haben, zu akzeptieren, zu flüchten oder sich dagegenzustemmen. Um dem beständigen Wind zu trotzen, kann man nur noch Ritzen, Rillen, Klang- bzw. Gedankenräume oder andere kleine Schutzwälle aufsuchen.

Hordler sind hier eine Gemeinschaft, sie sie sind mehr als eine Familie. Es ist die Geschichte der vierunddreißigsten Horde. Ihr Ziel ist es, die mystische Quelle des Windes zu finden. Ein Wind, der ohne Unterbrechung über die Welt hinwegfegt. Ein Sturm, der beständig aus einer Richtung bläst. Mal weniger stark, mal tödlich, aber immer gegenwärtig. Es ist eine leere Welt und vor 27 Jahren, als sie noch Kinder waren, sind sie aufgebrochen. Die vorherigen dreiunddreißig Horden sind auch der Frage nachgegangen, woher weht dieser Wind? Alle Horden sind bisher verschollen, umgekommen oder haben am Weg aufgegeben und sind irgendwo sesshaft geworden. Die jetzige Horde ist entschlossen, das Ziel zu kentern. Golgoth marschiert vorneweg, hinter ihm Sov, der Schreiber, dann der Rest. Dieser Marsch, der nur ergangen zum Erfolg führen kann, wird ein Leben lang dauern. Der Schreiber hält alles im Konterbuch fest. Nach vielen Abenteuern und mystischen Begegnungen wartet am Ende die härteste Prüfung. Gibt es überhaupt ein erlösendes Ziel? Kann die Horde den Wind kontern und dem in der Horde wachsenden Irrsinn trotzen?

Ein Abenteuer, das einzigartig ist. Der ganze Roman entfaltet sich im Verstand und die Besonderheit der Sprache wird erneut deutlich. Die Sprachbilder werden beim Lesen Realität und wir werden mit diesem Werk zum Hordler! Wie bei den Roman „Die Flüchtigen“ werden viele Fragen in der Metaphorik gestellt. Am jeweiligen Ende wird es Antworten geben, doch passen diese zu den Fragestellungen? Werke, die lange an uns zerren werden, wenn wir sie gebändigt haben. Das Bändigen dieser Kolosse ist aber eine enorme Freude.

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