Fuminori Nakamura: „Die Flucht“

Ein umfangreicher Roman, der neben der Spannung viel über die Geschichte Asiens erzählt und sich glänzend neben die Literatur von Yoko Ogawa, Haruki und Ryu Murakami sowie Shusaku Endo einreihen lässt. Besonders die Werke von Endo werden durch den Bogen zur Gegenwart, den Nakamura schlägt, vertieft. „Die Flucht“ greift Themen auf, die bereits Endo mit „Samurai“ und „Schweigen“ beschrieben hatte. Doch geht Nakamura weiter und zieht den Bogen von der Verfolgung der Christen in Japan über den Abwurf der Atombombe bis ganz nah an unsere Gegenwart heran. Dabei wird er, wie in der japanischen Literatur üblich, auch mystisch und nebulös. Es tauchen Charaktere auf, die auf den Anfangsbuchstaben reduziert werden und einer, lediglich „B“, agiert wie ein Beelzebub. Zumindest ist er ein Bindeglied zwischen der Realität und der Fiktion. Die Trennung zwischen den Lebenssphären erfolgt durch Gewässer und somit ist jener „B“ auch oft nass. Jene bedrohliche Figur taucht auf und möchte die sagenumwobene Trompete haben, die der Erzähler in seinem Besitz hat und dadurch um sein Leben bangen muss. Denn „B“ gibt ihm nur etwas Zeit, um zu handeln und sich zwischen drei Todesmöglichkeiten zu entscheiden. Auch wenn er eine lebende Version wählen würde, wäre sein Selbst zerstört.

Die Handlung beginnt in Köln, denn Kenji Yamamine ist auf der Flucht und ist in die Domstadt gereist. Beruflich ist er Journalist und schreibt oft gegen die politische Entwicklung Japans an. Auch hat er bereits ein Buch erfolgreich herausgebracht. Die immer weiter nach rechts rückende Politik möchte er durch seine Worte bekämpfen. Doch ahnt er, dass die menschliche Natur mit Logik allein nicht zu besiegen ist. Durch starke Emotionen hat sich in den meisten Menschen das festgefahrene Denken verhärtet. Die Menschen benötigen einen Gegenentwurf zu ihrer Weltanschauung, die sich oft durch die Beziehungen in die sozialen Medien verlagert. Durch Zufall oder durch Fügung gerät er an die Geschichte um das legendäre und teuflische Instrument. Der Komposition und der Trompete von Suzuki werden nachgesagt, sie hätten im Zweiten Weltkrieg der unterlegenen japanischen Armee zu einem Sieg verholfen. Die Trompete „Fanaticism“ ist somit ein Inbegriff der menschlichen Hörigkeit. Auf den Philippinen ist das Instrument plötzlich aufgefunden worden. Kinder haben sie in einem „Geisterhaus“ gefunden. Kenji reist dorthin und beschaut sich die Trompete und wird in den Bann gezogen. Dort trifft er auch auf Anh, die aus Vietnam kommt und ihm später, da sie sich verliebt haben, nach Tokio nachreist. Sie möchte mit ihm die Geschichten sammeln, ihre, seine, die der Länder und die der Trompete. Er wird es sein, der ihren Traum verwirklicht, denn auf einer Demonstration wird sie tödlich geschubst. Dadurch, dass er es ist, der die Geschichten fixiert, trägt das Werk später den Titel „Eine Seite der Geschichte“. Doch bevor er schreibt, ist er auf der Flucht, denn das Schicksal hat ihn in den Besitz der Trompete gebracht und das Instrument weckt Begehrlichkeiten und Kenji wird bedroht und weltweit verfolgt. Alles, was er am Ende nur noch möchte, ist den Wunsch von Anh zu erfüllen. Die „Eine Seite der Geschichte“ beginnt in der damaligen Zeit der Verfolgung der Christen und des Schreckens der Atombombe.

Der Roman „Die Flucht“ ist ein ganz besonderer. Nach „Der Revolver“, „Der Dieb“ und „Die Maske“, die alle bereits Leseschätze sind, ist der aktuelle Roman, das umfangreichste Werk des Autoren, das aus dem Japanischen von Luise Steggewentz übersetzt wurde. Fuminori Nakamura wird in Japan als junger und erfolgreicher Autor gefeiert und gilt als Meister des Düsteren. Seine Romane sind eindringlich, verstörend und sehr spannend. Sehr verstrickt, unheimlich und voller Geschichten, die besonders im zweiten Teil des Romans ins Historische wandern und somit Geschichte lebendig werden lässt. Kann es eine gerechte Welt geben oder sind wir lediglich unserem individuell geprägten „Gerechte Welt“-Wunsch hörig? Ein großer japanischer Roman, der eine Bereicherung ist.

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