Max Bronski und „Die Josephsbrüder“ zeigt, wie dicht ein Roman erzählt werden kann, wie wenig Raum Vielschichtigkeit benötigt. Erneut ein Krimi des preisgekrönten Autors Franz-Maria Sonner, der seine Krimis als Max Bronski schreibt. Ein Text, der ausgefeilt und pointiert großartig unterhält. Es ist erneut sein Held, der nichts Heldenhaftes hat, Gossec, der mit seinem Trödelladen in einer Flaute steckt. Er ist aufgewachsen im Waisenhaus und bezeichnet seinen größten Einfluss als Lemmy Kilmister. Er trinkt gerne mit seinem Freund Julius ein Bierchen. Wenn sie beim Bier zusammensitzen, verflüssigt sich die empfundene Härte des Lebens. Am Anfang des Romans liegt Gossec am Boden und erwacht durch die Kälte des Bodens. Er erwacht niedergeschlagen im Kloster der Josephsbrüder. Es fing damit an, dass er Julius in seiner Firma ausgeholfen hat. Julius betreibt das Unternehmen CatSecurity. Der Name kommt wohl durch die Katzenliebe der Partnerin Tita, ohne die die Sicherheitsfirma nicht denkbar wäre. Aus religiösem Vorbehalt bittet Julius ihn, bei der Anfrage aus dem Kloster behilflich zu sein. Warum benötigt ein Kloster ein Sicherheitssystem? Bei den ersten Gesprächen zeigt sich, die Josephsbrüder sind eventuell nicht dass, was sie zu sein scheinen. Sie agieren auch als Goldschmiede und Restauratoren. Nachdem die Schutzvorrichtungen angebracht und installiert wurden, meldet sich die Versicherung des Klosters, denn es gibt Unstimmigkeiten und einen Einbruch. Gossec beginnt zu ermitteln und eine spannende und windige Geschichte entfaltet sich. Denn es gibt trotz der Haupthandlung sehr viel Nebenschauplätze und Entwicklungen.
Erneut ein Bronski, der viel Freude macht. Bronski bietet kurzweilige Unterhaltung, die innerhalb der Krimiliteratur etwas Einzigartiges ist. Sein Sprachklang, Witz und genaues sowie verknapptes Erzählen begeistern immer wieder.
Es beginnt mit zwei Blicken aus dem Fenster. Es ist das Jahr 2022 und Dada oder Schneeflöckchen genannt, steht in Berlin am Küchenfenster, der Blick durch die Glasscheibe gibt ihr das Gefühl, es gibt noch Unerzähltes. Es ist ihr Schutzraum mit dem Blick auf die Ereignisse. Dada arbeitet in Berlin als Übersetzerin. Sie ist bei einem Gerichtsverfahren involviert, das gegen einen Kriegsverbrecher geführt wird, der in den 1990er Jahren Grausamkeiten während der Belagerung in Sarajevo begangen hat. Der zweite Blick durch das Fenster ist der von ihrer Schwester, Dijana, die damals Sohn genannt wurde. Sie schaut im Frühling 2022 aus dem Fenster in Sarajevo. Sie beginnt, sich zu erinnern und denkt an Dada, an den Tag, als sie verschwand. Die Gedanken kehren bei beiden zurück an den Krieg und noch weit davor, als sie noch dachten, nichts würde sie jemals trennen können.
Vernesa Berbo wurde in Priboj, Jugoslawien, geboren. Dies ist ihr Debütroman, der kein Kriegsroman ist, es ist ein Werk über die Liebe von Geschwistern und richtet sich gegen jegliche Gewalt. Die Autorin schreibt über etwas, das sie erlebt hat, denn sie studierte Schauspiel an der Staatlichen Akademie für Schauspielkünste in Sarajevo und kam 1993 als Kriegsflüchtling nach Berlin.
Die Gedanken der Schwestern kehren zurück in das Jahr 1992. Es gibt zwei Stimmen, die auktoriale erzählt die Perspektive von Dada und die Ich-Stimme stammt von Dijana. Dada ist wie eine Schneeflocke in das Leben geweht und wird seitdem Schneeflöckchen genannt. Warum Dijana Sohn gerufen wird, erklärt ihr Vater lediglich mit einem Lächeln. Dijana ist selbstbewusst, leidenschaftlich und immer für Dada da. Sie ist die Beschützerin für ihre jüngere Schwester. Der Krieg überfällt sie und macht aus Freunden Fremde und Feinde. Die Belagerung und die damaligen Ereignisse werden nicht groß erklärt, denn es ergibt sich aus den Situationen. Ereignisse, die das Damalige und selten Beschriebene aufgreifen und durch das jetzige Weltgeschehen eine bewegende Aktualität erhalten. Sie sind jung und genießen das Leben. Sie treffen sich mit Freunden und plötzlich ist da überall eine Bedrohung. Plötzlich wird von Scharfschützen gesprochen, plötzlich kündigen Bekannte die Freundschaft und grenzen sich ab. Es kommt zu Aufständen und zu Krawallen auf der Straße, die Geschwister geraten hinein und hier kommt es zum Wendepunkt, als die eigene Familie verletzlich wird. Doch das Kämpfen erzeugt Wut. Dijana ist entschlossen, sie stellt sich den Widrigkeiten, während Dada an die Liebe denkt, bis fatale Ereignisse alles verändern.
Das Familiäre und das Leben in der belagerten Stadt werden Ausgangspunkt für gesellschaftliche Zerrissenheit. Die Schilderungen des Romans zeigen besonders das Leben von Frauen in umkämpften Regionen. Das bleibende Trauma strahlt bis in das Jahr 2022 und der Versuch, den Alltag wiederzufinden, steht dabei im Mittelpunkt. Ein spannender und sehr berührender Roman über das, was unser Leben zerreißen könnte und über jene Liebe, die uns den Frieden schenkt.
Seinen Weg im Leben finden und diesen zu meistern, ist die Quelle diverser Geschichten. Hier kommt der Wille hinzu, der Wille zu verstehen, der Wille, der nicht durch Schnelllebigkeit oder in den modernen Entwicklungen zu finden ist. Ein Roman, in dem es um das Erwachsenwerden geht und der in seiner Struktur und in den Stilen mäandert. Ein Entwicklungsroman, der sehr viele Naturbeschreibungen beinhaltet und den Vergleich mit dem Weg durch den Wald mit dem Gang durch die Literatur zieht. Es ist ein junger Mann, der seinen Weg mithilfe der Weltliteratur findet, diese gerne zeigt, aber nicht zum Poser mutiert. Bücher als sichtbares Bild, das dezent inszeniert einen Charakter oder Standard vorgaukeln soll. Dies möchte der Erzähler nicht, er sucht die Tiefe, das Gespräch und die Empathie.
Es ist ein junger Roman, ein Debüt, das gegenwärtig ist und doch eine aus der Ferne erklingende Stille beherbergt. Es ist kein Bild der modernen Generationen, die sich auf den sozialen Kanälen finden oder via Smartphone kommunizieren. Der Erzähler hat einen Festnetzanschluss und liebt es, die Natur zu bewundern. Die Berge, die Wälder und die Tiere. Doch zieht es ihn in die Stadt und somit gibt es zwei Teile, zwei Welten, die in der Natur und jene im Großstadtdschungel. Der Weg verläuft über sich finden, ausprobieren und erobern.
Mattias Timander wurde 1998 in Kiruna, Nordschweden geboren. Er gehört der ethnischen Minderheit der Tornedaler an. Sein Debütroman beschäftigt sich mit der Auseinandersetzung mit der Geschichte und der tornedalischen Herkunft. In kurzen Szenen und verklingenden Sätzen baut er eine alte und doch gegenwärtige Welt auf. Sein Roman wurde vielfach nominiert und ist bereits ausgezeichnet. Übersetzt wurde der Roman von Hanna Granz.
Der Erzähler ist Anfang zwanzig und lebt in einem nordschwedischen Dorf. Die Landschaft in ihrer Kargheit und ihrer schlichten Schönheit prägen ihn. Die Umgebung erfüllt das Sein und das Schlichte und Gradlinige findet sich in der Landschaft und in den Menschen wieder. Der Erzähler denkt viel und agiert in seiner zerklüfteten Umgebung. Er hilft einer älteren Frau und dies ist sein engster Kontakt. Er empfindet, denkt anders und ist ein genauer Beobachter. Das Lesen findet sich zufällig. Er hat von seinen Eltern eine Hütte übernommen. Die Erklärung über den Verbleib der Eltern verklingt mit einem unvollendeten Satz. Zumindest sind die Eltern nicht mehr da und er findet in einem Schuhschrank lieblos eingelagerte Bücher. Er beginnt zu lesen und ist berührt und möchte sich mitteilen, doch auch hier bleibt es um ihn still. Er wird als Bohème tituliert. Sein Fund erstreckt sich über die Weltliteratur und sein literarisches Empfinden erwacht. Er sucht den Sinn im Leben und die Auseinandersetzung. Sein Weg geht dann auch in die Stadt. Seine Suche endet mit der Definition seines Lesegeschmacks. Es soll Raum für Eigenes entstehen, eigene Empathie, Gefühle und Gedanken.
Die Welt als Wandelraum, als beständiger Lebensraum, der sich fortwährend umstrukturiert. Das Unvorhersehbare lässt eine Reflektion zu, die im Nachsinnen eine Erklärung sucht. Unsere Heimat und die Suche danach festigt und verwirrt zugleich. Durch Literatur, besonders auch diese, eröffnen sich gänzlich neue Welten und Sichtweisen. In kurzen und sehr klanglichen Szenen tauchen wir ein in eine stille Welt, die uns über Herkunft, Zugehörigkeit und Leben nachsinnen lässt. Dieser Roman ist eine wunderbare Entdeckung.
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Wir verstehen uns als Leuchtturm im Büchermeer und nun gibt es ein Buch, das die befeuerten Türme und die Literatur verbindet. Wobei in der Moderne das Licht der Leuchttürme nicht mehr durch Leuchtfeuer sondern mit starken elektrischen Lampen erzeugt wird, befeuert uns die Literatur unverändert und weiterhin. Leuchttürme üben eine besondere Faszination aus. Der englische Begriff sagt es wörtlich: Haus des Lichts. Ein Ort, der nicht nur beherbergt und schützt, sondern sein Licht als universal verstandene Sprache versendet. Das Leuchtfeuer weist auf gefährliche Stellen hin, auf Klippen, Riffe oder auf Ablagerungen von Sediment. Meist stehen die Leuchttürme in der Nähe von Häfen. Leuchttürme ziehen den Blick auf sich, senden aber auch den Blick zurück, denn er wurde auch von einem Leuchtturmwärter als Auge des Lichts bezeichnet.
Leuchttürme sind Wegweiser und stehen seit Bestehen für Abenteuer und Sicherheit. Sie sind ein Symbol des Fernwehs und gleichzeitig für Heimat. Sie haben stets etwas Erstaunliches und Magisches. Die Gebäude und die Geschichten, die sich um diese ranken, sind mannigfaltig und schon immer eine Quelle für unsere Erzählungen. Das Leben als Leuchtturmwärter ist entbehrungsreich, weckt aber in uns stets die Phantasie eines Lebens voller Abenteuer. Diese Vorstellung ist nah an der der Seefahrer, denn beide sind aneinander gebunden. Es gibt auch nicht nur jene Türme, die auf festem Boden, auf Felsen oder auf Inseln stehen, sondern auch jene, die als fixierte Feuerschiffe den Seeleuten ihren Kurs zeigen.
Wie wäre es, wenn wir Leuchttürme sammeln und die Verbindungen zur Literatur herstellen könnten? Dies ist das Anliegen der literarischen Reise von Jazmina Barrera. In ihren Erinnerungen, Texten und Gedanken reisen wir mit ihr zu bestimmten Leuchttürmen, die sie aufgesucht hat. Es sind aber auch Türme, die ihr und uns in der Weltliteratur begegnen können. Jeder Turm wird kurz mit seiner Bauweise und dem spezifischen Leuchtsignal vorgestellt. Türme mit Lichtsignalen stehen nicht unbedingt immer an der Küste, sondern können uns auch im Landesinneren oder in den Städten überraschen. Denken wir zum Beispiel an den Eiffelturm, der auch abends sein Licht auswirft. Eines eint jedes Lichtsignal: Hier ist Leben, hier sind Menschen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Welt der Bücher immer wieder Leuchttürme finden lassen. Der Turm gilt dabei als moderne Errungenschaft, aber auch als Orientierungshilfe, als Signal der Hoffnung. Denken wir an die Werke von Max Frisch, Ray Bradbury, Herman Melville, Jules Verne oder Robert Luis Stevenson, dessen Großvater sich dafür einsetzte, dass die schottische Küste mit Leuchttürmen ausgestattet werden sollte. Es gibt so viele Beispiele in der Welt der Literatur, besonders auffallend ist dabei natürlich das Werk von Virginia Woolf.
Das Buch „Leuchttürme“ gehört in jeden Bücherschrank. Ein Buch für alle, die in sich eine Sehnsucht nach dem Meer verspüren, ein Fernweh kennen, das durch reale oder erzählte Reisen gesättigt werden kann. Die gesammelten Gedanken von Jazmina Barrera erzeugen eine Weltlust und ihre Texte lassen uns heimkommen. Das aufwendig und schön gestaltete Werk wurde aus dem mexikanischen Spanisch von Grit Weirauch übersetzt.
Ein Irving-Roman, der erneut eine lange Verzahnung von Ereignissen mit typischen Irving-Figuren erzeugt. Doch dauert es mit seinem neuen Roman etwas länger, bis wir gerade diesen, von uns so geliebten Irving-Charakterisierungen verfallen. Doch sobald wir die ersten Hürden, den Anlauf genommen haben, ist es ein typischer Irving, der alle seine Themen streift und mit Esther eine bleibende Heldin, die oft vage bleibt, erschaffen hat. Es ist eine Odyssee, die natürlich genau jenen melancholischen Witz beinhaltet, wie auch Irvings große Themen der Individualität, Sexualität und Weltgeschichte. Natürlich darf dabei das Ringen genauso wenig fehlen wie zum Beispiel das Tätowieren. John Irving hat niemals schlechte Bücher geschrieben, manchmal wohl etwas schwächere als seine besten. Aber dies bedeutet jammern auf höherem Niveau. Eigentlich ist es das Gesamtwerk des Autors, das gewürdigt gehört und Esther ist, so fühlt es sich an, ein Epos, das viel Liebgewonnenes vereint. Die Stärke der Literatur an sich steht dabei stets im Mittelpunkt. Esther und ihr Umfeld sind belesen und somit ist es nicht verwunderlich, dass Esther sich auch ein Jane Eyre-Zitat tätowieren lassen möchte. Auch Irving kehrt in ein uns bekanntes Universum zurück, denn Esther ist eine in Wien geborene Jüdin, die in einem Waisenhaus in Maine aufwächst. Es ist das St. Cloud´s, das von Dr. Larch geleitet wird. Wohl bekannt aus „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, beziehungsweise „The Cider House Rules“. Doch diese Episode ist nur Bestandteil des Anfangs, der gespickt ist mit Wissen um Waisenhäuser, Abtreibung, Geschichte und Judentum. Dann tauchen die Winslows auf und mit Ihnen beginnt jene Irving-Odyssee bestehend aus Schicksalswendungen und schrulligen Charakteren.
Constance und Thomas Winslow haben Töchter, die sie jeweils nach einer Tugend benannt haben. Sie ist Bibliothekarin und er ist ein Lehrer, der Literatur und besonders Dickens verehrt. Die Winslows haben stets Waisenmädchen bei sich aufgenommen, damit diese sich um die Töchter kümmern. Diesen behandeln sie immer wie eigene Kinder und Familienmitglieder. Ihr neuestes Waisenkind ist Esther, die sie aus dem Heim des Dr. Larch abgeholt haben. Esther ist ein stilles, wütendes und belesenes Mädchen. Sie möchte später ihre Wurzeln ergründen und reist nach Wien und dann nach Israel. Doch vorher schmiedet sie noch mit Honor, der jüngsten Winslow-Tochter, einen Pakt und durch diesen hat ihr späterer und leiblicher Sohn zwei Mütter. Es ist James, auch Jimmy genannt, der von Honor erzogen und bemuttert wird, aber seine leibliche Mutter niemals kennengelernt hat. Um diese kennenzulernen, begibt er sich auf eine Reise von New Hampshire nach Wien.
Jetzt ist ein feiner Irving-Teppich aus schicksalhaften Geschichten, urkomischen Situationen und schrägen Figuren als Ausgangspunkt gesponnen. Alles wurde mit Hingabe zu den großen Weltthemen geschrieben. Alle Angelegenheiten, die wir heutzutage diskutieren oder hitzig besprechen, sind schon immer ein Teil der Irving-Romane gewesen. Er verwebt amerikanische, jüdische und europäische Geschichte, die von seinen Charakteren erlebt wird. Seine Werke verstehen es, durch Wendungen zu überraschen und nichts ist jemals gradlinig erzählt. Alles ist erst vage, wie Esther selbst, um dann immer deutlicher aus den Zeilen zu springen. Auch Jimmys Geschichte wird und ist skurril. Das Thema der zwei Mütter bleibt weiterhin bestehen. Erneut ein Irving, der in uns bleiben wird. Seine Figuren und ihre Geschichten leben lange in unserer Erinnerung weiter. Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg und Eva Regul übersetzt.
Marlen Schachinger verwebt in ihren Romanen stets Gesellschaftliches und Politisches. Sie betrachtet unser Miteinander und lässt dabei das Private öffentlich und das politische Leben familiär werden. Ihr neuer Roman bekräftigt ihr schreibendes Ansinnen, was sie mit „Martiniloben“ begann. Sie verteidigt die demokratischen Grundwerte, beobachtet aber unser menschliches Zusammensein und stellt Fragen über unsere Gesellschaft. Ihre Bücher sind lesenswert, verlangen uns aber einiges ab. Ein aufmerksames Lesen ist nötig, denn Schachinger spielt mit Sprache und Perspektiven. Zeitweise werden auch Dialoge in kubanischem Spanisch geführt, was die Authentizität bestärkt. Wir müssen aber nicht der Sprache mächtig sein, denn es erklärt sich durch den Kontext oder durch den Sprachklang. Die Andersartigkeit des Buches wird bereits mit der Seitennummerierung, die hier anhand einer Strichzählung erfolgt, deutlich. Ein Roman, der das Gesellschaftliche mit der Natur, den Pflanzen vergleicht und somit unsere eigenen kleinen Welten wie bepflanzte Schalen betrachtet. Gleich am Anfang zeigt sich eine begrenzte Weltauffassung. Eine Glasscheibe, die die sichtbare Welt unterteilt. Hier eine Straße voller Schlaglöcher, dahinter Poollandschaften mit Palmen.
Ein Wiener Journalist, Viktor, reist nach Kuba, um mit einem Autor ein Interview zu führen. Die politischen Bedingungen machen es nicht leicht und Viktor muss sich den Gegebenheiten unterwerfen und kann nicht als einfacher Tourist agieren. Er übernachtet bei Benita, einer Professorin für Sprache und Literatur. Viktor verbringt eine längere Zeit bei ihr auf Kuba und eine Zuneigung beginnt. Durch seinen Aufenthalt wird er Zeuge der dortigen Umstände. Benita ist die agierende Person, während Viktor oft hadert. Die Perspektiven wechseln und die eigentliche Erzählstimme meldet sich überwissend auch zu Wort und dadurch entsteht ein Biotop aus diversen Garten- und Politlandschaften.
Viele Jahre später, kurz vor dem Ruhestand erlebt Viktor ein Ableben seiner gewohnten journalistischen Tätigkeit. Auflagenhöhe entscheidet über Qualität und Werbeträger beeinflussen die Inhalte. Viktor wird wortärmer und gibt sich erneut den Umständen hin. Er vertrocknet innerhalb der Kultur, dem Feuilleton und seine Kubazeit und seine Gegenwärtigkeit bekommen Ähnlichkeiten und erneut steht eine Reise dorthin bevor. Doch hat sich vieles verändert.
Ein Roman, der wunderbar geschrieben ist, uns etwas abverlangt und dann einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Eine literarische Reise aus den Besprechungsräumen zu der wirklichen, verwandelten Welt.
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Lyrik ist ein feinfühliger und komprimierter Kunstblick. Kunst und Literatur entzäunen unsere Phantasie. Dieses kleine Buch ist ein Kunstwerk und ein Begleiter, der in jede Tasche passt und durch die japanische Bindung immer und gut gelesen werden kann. Das Verweilen in den Zeilen erzeugt, wie im Titel versprochen, eine Stille, eine Reduktion und Reflektion. Es sind Gedichte, die durstig nach mehr machen. Es sind lyrische Betrachtungen die natürlich individuell sind und doch durch die Fixierung in Poesie uns gemeinsam erreichen, berühren und zum Nachsinnen anregen. Die Gedichte werden durch kryptische Notizen, Gedankenschübe, die im Querformat gesetzt sind, eingeschoben und verirren sich zu den eigentlichen Gedichten.
Das Bild, das sich in uns ergießt, ist eine Umkehrung von Weltenbetrachtungen. Unsere Gegenwart macht irre, lässt uns schwindeln und hinterlässt Gedankengewitter. Diese sind Ausgangspunkt der Betrachtungen und doch wird die Ruhe gesucht, das was uns aus den schwindelnden Zeiten erwachen lässt. Unser Miteinander kühlt ab, unsere Empathie schrumpft und unser Empfinden kennt wenig Fein- und Mitgefühl. Also ist es Zeit für Gedichte! Lyrik ist die Steigerung der Kunstform der Kurzprosa. Hier wird durch Worte, Begriffe und Klänge ein Sprach- und Gedankenraum erzeugt. Diana Jahr schreibt Lyrik und Kurzprosa und ist als Lektorin und Herausgeberin tätig. Sie lebt für die Literatur und veröffentlichte Gedichtbände. Einige Werke von ihr wurden bereits ausgezeichnet.
„in der stille | werden wir durstig sein“ sind Worte, die an uns, an jemanden gerichtet sind, die Trost und Hoffnung schenken. In den dunklen Nachtstunden spüren wir die Hand, die uns gereicht wird, erahnen den Vogel, der den Morgen begrüßt. Es sind Zeilen, die uns berühren, innehalten lassen und den Kopf fragen lassen, ob es verklärt ist oder einfach nur treffend und schön. Der Verstand und das Gefühl finden sich im Letzteren wieder.
Ich möchte meinen Aufruf hiermit erneut bekräftigen, mehr Lyrik zu wagen! Werden wir durstig nach Gedichten und trotzen durch Literatur jedem Sturm.
Ein Buch voller Wechselwirkungen und Verbindungen. Ein Tanz zwischen Lyrik, Prosa, autofiktionalem Erzählen und Nature Writing. Hier bedingt alles einander. Durch die Sprache wächst die Landschaft. Das Sehen, Erfassen und Beschreiben fließen ineinander. Literatur übermittelt Gedanken und Gefühlsmomente des Schreibenden, die durch unsere Betrachtung zu unseren Empfindungen werden. Das geschieht mit diesem Buch ganz leicht, ganz unbefangen und doch keimen in den Episoden viele Themen, die dem Werk auch noch das Sachliche eines Essays verleihen. Das vorliegende Werk weckt Erinnerungen an Nataša Kramberger: „Verfluchte Misteln“. Beide Werke leben von den Landschaftsbeschreibungen und Selbstreflexionen.
Die Landwirtschaft, die Landflucht bedeutet eine Naturliebe, die nicht immer harmonisch ist. Die meisten Vorstellungen sind verklärt. Doch durch die aktuellen Themen und Ereignisse verändern sich unsere Blicke. Wir nehmen die Natur mit Blicken auf, essen ihr Gemüse und spüren und riechen die Lüfte. Dies gelingt auch durch diese Literatur, die sich in die Landschaft eingräbt und unsere gegenwärtigen Fragestellungen beleuchtet. Es geht um das Leben, die Sorgen und um das Miteinander. Die Örtlichkeit wird literarisch vergoldet, aber nicht alles muß glänzend sein. Es ist eine Landschaft, die aus einer baumarmen Steppe besteht. Das Klima, der starke Wind erreicht somit die Erde ungebremst und das Behagliche verschwindet.
Clara Heinrich beschreibt, was sie sieht, umtreibt und liest. Ihr Text wird begleitet durch Einschübe und Marginalien, die aus Zitaten bestehen wie zum Beispiel von Ursula K. Le Guin und Péter Nádas. Die Autorin kennt sich mit Landwirtschaft aus, kommt zurück aus der Stadt und arbeitet in der Natur und pflegt nicht nur diese, sondern muss dann auch für ihren am Fatigue-Syndrom erkrankten Lebenspartner da sein. Es gibt somit neben dem titelgebenden Gold auch einige Schattenwürfe. Überbegrifflich geht es somit im ganzen Werk um Fürsorge.
Hier trifft Natur auf Kultur und Menschlichkeit. Aus der Weite und Leere einer Landschaft wird ein Füllhorn an Gedanken. Mit einer poetischen Intensität verwebt Clara Heinrich die Genres, die Stilelemente und macht sich schreibend Luft. Denn auch klingt hier stets Wut neben dem Humor, wie das Schöne neben dem Dunklen.
Ein Buch, das tatsächlich Gewicht hat. Es ist eine Literatur, die uns fragen lässt, mit welchen Gedanken wir in den Zeilen verweilen und mit welchen Emotionen wir diese verlassen. Bücher sollen gefallen, aber müssen sie, um in uns zu bleiben, Wohlfühlmomente auslösen? Literatur ist dazu da, um uns unbekannte Welten, Gedanken und Ereignisse zu zeigen. Literatur kann mehr sein als ein Sachbuch, das durch Fakten besticht. Die Kunst der Erzählung weckt neben den wahren Ereignissen unser Mitgefühl, unser Empfinden und verankert sich dadurch viel stärker. Literatur ist vorrangig die Gabe, etwas kunstvoll zu erzählen und dadurch unser Weltbild zu bereichern. Unsere Phantasie ist grenzenlos. Leider auch in jede Richtung. Die menschliche Kreativität zeigt sich auch im Schrecken. Wenn das Grauen unbeschreiblich wird, muss es erneut durch Literatur erfunden werden, um uns zu erreichen, um uns zu mahnen, zu erinnern und abzuschrecken.
Bahram Moradi wurde 1960 in Broujerd, im Iran geboren. Dort hat er als Schauspieler, Dramatiker und Regisseur am Theater gearbeitet. Er wurde damals von der Bühne als politischer Aktivist verhaftet, gefoltert und inhaftiert. Mitte der achtziger Jahre musste er fliehen und lebt seit 1994 als Schriftsteller und Kritiker in Berlin. Sein literarisches Werk umfasst Erzählungen, Romane und Theaterstücke. Sein Schaffen erreicht eine weltweite Leserschaft und eines seiner Werke ist nun auch endlich in der Deutschen Übersetzung erschienen. Es wurde aus dem Persischen von Sarah Rauchfuß übersetzt und ergänzt durch ein lesenswertes Nachwort von Gabriele von Arnim. Nach dieser Lektüre sollten wir uns die Frage gefallen lassen, wie standhaft wir selbst sind? Haben wir den Mut oder sind wir mutlos, wenn es um unsere Werte und Freiheit geht? Wie sicher kann ich meiner selbst sein?
Es ist Juni 1981 und im Iran geht ein Junge spazieren. Er möchte seinen Kopf frei bekommen und gerät in eine Situation, die eskaliert. Ein Jeep steht defekt, blutig und mitten auf der Straße. Die Mechanik des Scheibenwischers kann zwischen klimatischem Niederschlag und Körperflüssigkeit nicht unterscheiden. Das Bild setzt sich fest und lässt das Grauen in eine andere Perspektive rücken. Besonders für den dreizehnjährigen Jungen. Er wendet sich ab und schaut sich die Auslage in einer Buchhandlung an. Vor zwei Jahren siegte die islamische Revolution und das neue Regime beginnt die politische Opposition auszuschalten. Eine Welle von Skrupellosigkeit und Gewalt beherrscht das Land. Die Gewaltbereitschaft endet auch nicht bei Minderjährigen. Peyman Bamshad ist seit diesem Tag verschwunden, er ist das dreizehnjährige Kind, das lediglich an jener Kreuzung stand und sich Bücher anschaute. Er wird angesprochen und inhaftiert. Es ist eine Verwechslung mit dem Bruder und jahrelang, muss er versuchen, sein Selbst zu bewahren, zu stärken und stets zu behaupten. Er taucht ein in eine unwirkliche und unmenschliche Welt, die man selten senkrecht und meist horizontal verlässt. Um das Grauen zu ertragen verflüchtigen sich die jugendlichen Empfindungen und Gedanken in Parallelwelten. Der Schrecken wird unverständlich und nur durch die Lächerlichkeit begreifbar. Es entsteht über Jahre eine eigene Wahrnehmung und Sprache, ein ganz eigener und körperloser Humor, der sich dem Schmerz entwindet. Die Einsamkeit, das Misstrauen und die unterschiedlichen Verlegungen lassen das Empfinden schrumpfen. Die Regeln in Haft sind ganz andere und lassen, nach der Freilassung, keine Realität mehr zu. Nach der Freilassung sucht Peyman die Freiheit und kann diese kaum finden. Die Isolation bleibt bestehen, nun in einer eigenen Reduktion im Keller des Elternhauses. Er verkriecht sich im Keller und verlässt diesen nicht.
Der Erzähler versucht, alles zu begreifen, er versucht, das Erlebte zu erfassen und seine Wahrnehmung wandert aus den Erinnerungen in den Keller und zurück in den Zeiten. Der erwachsene Protagonist und der dreizehnjährige Junge werden eins und versuchen sich jeweils selbst zu definieren.
Ein Roman, der erschrickt, verstört und mit Geschichte, Erinnerungen, Erlebtem und Emotionen spielt. Der brutale Witz taucht auch in Begrifflichkeiten und Namen auf. Diese sind zum Beispiel Niemalsjemals, Zärtling und Yasser-die-Schonfrist-ist-um. Die Intensivität des Erzählens steht bei diesem Werk stets im Vordergrund. Ein Roman, der Wunden zeigt, aufreißt und erzählerisch als Kunst offenlegt. Es ist der Fingerzeig, was passiert, wenn Gesellschaften erkalten und totalitäre Systeme das Sagen erlangen. Was passiert mit der Individualität, wenn Grauen ein Normalzustand wird?
Es ist der Augenblick, der unser Leben bestimmt. Das wahre Jetzt ist nur ein Wimpernschlag und doch kann die Wahrnehmung und unsere Reaktion darauf alles verändern. Harald Darer schaut stets genau hin und nach seinen Romanen veröffentlicht er nun Erzählungen, die er unter dem Titel „Makula“ vereint. Die Erklärung folgt als Einführung: „In der Mitte der Netzhaut gibt es einen Bereich, in dem die Sehzellen besonders dicht angeordnet sind: die Makula. Hier befindet sich, so heißt es, der Bereich des schärfsten Sehens.“ Darer unterhält und macht aufmerksam. Es ist immer der Moment, der uns innehalten und uns das Wesentliche erfassen lässt. Darer lässt uns teilhaben an seinem Blick auf Familie, Gemeinsamkeiten, Betriebliches und Gesellschaftliches. Figuren, Charaktere, Personen und das empfundene oder erlebte Ich werden dabei eins.
Das was uns verbindet, kann auch jenes sein, das uns zu trennen vermag. Gleich am Anfang wird der Verlust der gedankenlosen Unbeschwertheit mit dem Heranwachsen vertieft. Dabei sind die tiefgründigen und bewegenden Betrachtungen stets auch humorvoll. Der Generationsunterschied zeigt sich zum Beispiel bei der Wettervorhersage. Hört man diese immer, auch wenn man nichts vorhat, oder ignoriert man diese, auch wenn man viel plant? Das jugendliche Ausschlafen als Freiheitsempfinden wird von den Eltern mahnend in Frage gestellt, weil doch nichts mehr vom Tage übrig bleibe. In dieser Erzählung haben Brüder unterschiedliche Autounfälle, die ganz andere Verläufe nehmen. Beim einen ist es ein Blechschaden, der dem einen Bruder dramatisch erscheint und doch wohl nur eine Bagatelle ist. Der andere ist schwer verletzt. Das berufliche, öffentliche Leben trifft bei diesen Geschichten auf das Persönliche und Individuelle. Die Sonnenfinsternis als gesellschaftliches Ereignis kann auch das Persönliche blenden. Jeder Moment ist voller Lebensmomente und das Unaufgeregte kann für Aufregung sorgen. Es geht um Begegnungen und Erlebnisse, die sich auf Parkplätzen oder beim Putzen ereignen. Ein Firmenausflug nach Belgrad oder eine Fahrt nach Indien, die Zauberhaftes verspricht und doch nichts davon erfüllt. Das konturreiche Sehen, jenes, das sich im Brennpunkt ereignet und doch den Moment erfüllt und das mögliche Drama lediglich für den Betrachter offenbart. Das Alltägliche trifft auf das Ungewöhnliche und der Moment lässt uns verweilen. Das Vertraute verändert sich mit dem genauen Hinschauen und der Blick fokussiert oder verzerrt sich.
Diese Erzählungen sind schön, schrecklich und bringen den alltäglichen Blick in Schieflage. Durch die Verschiebung der Perspektiven, die Momentaufnahmen und die momentanen Überraschungen wird das Wichtige im Leben verdeutlicht.