Ein sprachgewaltiges Epos von unserem Nachbarn. Feridun Zaimoglu und wir leben im gleichen Stadtteil in Kiel. Ab und zu laufen wir uns über den Weg. Er grüßt auch stets herzlich zurück, wobei er uns wohl gar nicht kennt…
Er hat seine Lieblingsstadt Kiel literarisch verlassen und ist in die Vergangenheit nach Istanbul gereist. Sein Roman spielt im Siebentürmeviertel, wo laut den Kieler Nachrichten sein Vater groß geworden ist. Dieses Viertel mit den byzantinischen Mauern ist Unesco-Weltkulturerbe. Ein Roman über die Familie, Zugehörigkeit und Fremdsein.
Während des zweiten Weltkrieges haben Exilanten aus Deutschland in der Türkei eine Wahlheimat gefunden. Wolf, der Ich-Erzähler, flieht mit seinem Vater aus Deutschland nach Istanbul. Von seinen türkischen Freunden wird er auch Hitler-Sohn oder Arier genannt. Er taucht ein in eine archaische Welt, die im Wandel ist und wächst in einem Ort auf, in dem sich Ethnien und Religionen begegnen. Sie finden sich im Siebentürmeviertel wieder, in der Familie von Abdullah Bey, einem ehemaligen Arbeitskollegen seines Vaters.
Sein Vater, der vor der Gestapo fliehen musste, lässt später auch Wolf zurück in der Familie von Abdulllah, dem türkischen Patriarchen, der durch den Verlust eines eigenen Kindes Wolf als Ziehsohn aufzieht. Die vorübergehende Maßnahme wird zu einer Dauerlösung und Wolf muß sich zurechtfinden und behaupten. Er wächst in dieser fremden Welt auf, besucht die Schule und erobert sich die Stellung unter den Jugendlichen des Viertels.
Wir begegnen Heimatlosen und heimisch gewordenen: Armeniern, Tschetschenen, Griechen und Kurden, die das Viertel beleben.
Mit großer Fabulierkunst und großen Bildern entwirft Zaimoglu einen tiefgründigen, aber kurzweiligen 800-Seiten starken Roman, der seine Spannung erhält, als Wolf begreift, welches Spiel wirklich um ihn gespielt wird und sich die wahre Rolle seines Ziehvaters offenbart.
Beim Lesen taucht man ein in diese fremde Welt, die Zaimoglu anhand der Erzählungen seines Vaters so farbenfroh beschreiben konnte. Mal eine ganz andere Sichtweise: Ein Junge, dessen Vater sich bei den Nazis unbeliebt gemacht hat, strandet mit diesem in Istanbul.
Ein wunderbar geschriebener, umfangreicher Roman, der klug unterhält. Ein leidenschaftlicher historischer Roman.
Pingback: Blogbummel Juli/August 2015 | buchpost
Auf das Buch bin ich dank der Buchpreis Longlist aufmerksam geworden, und mein Wunsch es zu lesen wächst tatsächlich immer mehr. Sehr schöne Rezi.