Alban Nikolai Herbst: „Traumschiff“

mare Traumschiff

Eine Reise mit dem Traumschiff zum Zauberberg?

Ist die letzte Reise lediglich ein Traum? Das „Traumschiff“ ist ein Bild eines Schiffes, das von Charon gesteuert wird und den Übergang vom Leben in den Tod bedeutet.

Ein Kreuzfahrschiff als Symbol der letzten Reise. Dies ist das zentrale Bild des tiefgründigen Romans von Alban Nikolai Herbst. Vieles offenbart sich dem Leser erst viel später im Text, manches nur anhand vorbeischwimmender Bilder.

Wir lesen aus der Perspektive von Gregor Lanmeister, der seinen Monolog auf Kladden festhält, die er als eine Art Abschiedsbrief an Kateryna verfasst. Er wankt über Deck als ein stiller Gast, der gerne barfuß und lediglich im Bademantel bekleidet die Flure und die Decks aufsucht. Die Handlung beginnt als Monsieur Bayoun verstirbt und das Schiff verlässt. Dieser war sein Freund und Lehrmeister. Von ihm hat er auch das Mahjong, ein altes chinesisches Spiel, das übersetzt so viel wie „Sperlingspiel“ heißt. Das Spiel besteht aus 144 Spielsteinen. Dies steht auch in Bezug zu den Gästen des „Traumschiffs“, denn trotz der meist 400 Fahrgäste, sind es 144 Auserwählte, die das „Bewusstsein“ erlangt haben. Gregor ist einer dieser „erleuchteten“. Er weiß, wie alle diese 144, dass sie das Schiff nicht mehr lebend verlassen werden. Sie bleiben, um zu gehen…

Die Traumwelt öffnet sich dem Leser langsam. Man beginnt zu stutzen, als Gregor sich aufregt, dass das Bordpersonal stets Zimmer anstelle von Kabine sagt. Tatjana, die Kellnerin ist stets besorgt um ihn und gibt den anderen kleine Winks, damit er immer genügend zu trinken hat. Ebenfalls unterstützt sie ihn auch beim Essen und schaut, dass er genügend zu sich nimmt. Das Traumschiff verwandelt sich immer mehr in seine letzte Fluchtphantasie, die von erträumten Wolken, Delphinen und Mantas, die auch gerne in den Lüften schwimmen, umspielt werden.

Gregor ist ein humorvoller, stiller und sehr genauer Beobachter. Sein körperlicher Abbau schreitet dennoch voran. Er ist aber stets wachsam und versucht geistig klar zu bleiben. Es ist seine Phantasie, die ihn erleuchtet. Er lebt in seiner Welt, dem Traumschiff. Hier ist vieles möglich und anders. Er schwimmt durch ein Meer der Illusionen und wird von weiteren ausgewählten der 144 Menschen begleitet, die wir als Leser somit auch besser kennenlernen dürfen. Seine Phantasie lässt ihn auch auf den Wellen tanzende Feen erscheinen, die ihn Sirenen gleich heranwinken.

Gregors Bewusstsein ist ganz auf den Augenblick fixiert. Ein Hier und Jetzt erlebt er aber als Traum, denn das Schiffsleben ist seine Sehnsucht nach bewusstem Leben. Er reist anhand der Koordinaten aus der Realität.

Ein Roman, der einige Längen hat, aber die hatte jener „Zauberberg“ wohl auch und ist durch diesen Vergleich auch schon wieder gerettet. Ein Buch voller Wunder und Schönheit über die Kraft der Phantasie und den Wunsch nach einem würdevollen Ende.

Zum Buch

8 Kommentare

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8 Antworten zu “Alban Nikolai Herbst: „Traumschiff“

  1. Was für ein bemerkenswert ANDERES Buch. Danke für diesen erbaulichen Hinweis. Auch die Vorlesungskostprobe macht neugierig auf me(h)er 🙂

  2. ANH

    (Vor sich hin lachend:) Wie sagte die Tante der Mama meines Sohnes, ihrerzeit in Agra: „Wo fange ich an, wo höre ich auf?“ und nahm unsere abendländische Subjekt-Objekt-Trennung ganz unesoterisch, aber ziemlich gewaltig auf die Schippe. (Ich war dann erst akzeptiert, als es mir nichts ausmachte, die Chilies am Stück zu futtern). – Que voglio dire is‘ einfach: Bitte lest das Buch nicht als Ausflug in metaphysischen Kitsch, sondern – schlicht. Und laßt Euch einfach e i n, auf das, was Herr Lanmeister sieht und wie er’s formuliert. Der Sinn liegt im Klang, nicht im Plot – oder a u c h darin, aber nur vergleichsweise wenig.
    Von Geist & Herz:
    ANH

  3. Moin!
    Der Autor liest hier mit… Das ehrt mich sehr! Vielen Dank!
    Ich bin dem Traumschiffzauberberg verfallen…

  4. ANH

    Lieber Hauke Harder,
    ich habe nie geglaubt, daß ein Autor an seiner Wahrnehmung desinteressiert ist. Wer das behauptet, lügt (oder, sanfter: schwindelt); er oder sie macht der Welt etwas vor, das nicht ist. Showbusiness halt. Ist mir fremd.
    Weshalb sonst sollten wir schreiben, wenn uns die Wahrnehmung egal ist? Künstler brauchen Anerkennung, mitunter mehr als andere Menschen, denn in aller Regel sind sie auch schlechter bezahlt – für den Aufwand, auch an Existenz,, den sie betreiben. Das ist keine Klage jetzt, sondern eine geradezu pragmatische Feststellung. (Nein, ich vergesse die Flüchtlinge nicht – die gesellschaftlich höchste Aufgabe, der wir uns alle, ob Künstler oder nicht. derzeit zu stellen haben.)
    Aber wenn Sie von meinem Buch erzählen und ich erfahr es, schau ich selbstverständlich hin. Und erlebe es als einen Segen, daß wir heutzutage direkt reagieren können. Dank sei dem im Literaturbetrieb oft immer noch suspekten Netz! (Nur würden es Hunderte Stimmen, ließe sich das nicht durchhalten.)
    Ihr ANH

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