Der Name Faber steht für den Schaffenden, den Handwerker, Künstler, Arbeiter und Pionier. Doch ist Faber im Roman und im Titel auch der Zerstörer. Das Rätsel des Buches ist die Geschichte dieser Figur und welche Faszination sowie Angst er durch seine Anwesenheit verbreitet. Als Leser lernt man Faber als einen gefallenen Helden kennen. Er ist der Letzte einer gescheiterten Aussteiger-Gesellschaft und haust in einer spartanischen Hütte in den französischen Pyrenäen. Er ist verwahrlost und wirkt autistisch. Seine Freunde Madeleine und Basile sind seinem oder einem Ruf gefolgt, ihn zu retten. Welche Macht oder welche Faszination übte Faber auf seine Freunde aus, dass sie in dem egozentrischen Menschen, der nun lediglich ein Wrack ist, einen Helden sahen oder sogar noch sehen. Wer ist Faber und warum ist er plötzlich in deren Leben aufgetaucht und genauso geheimnisvoll wieder verschwunden?
Es geht um die Bewunderung, die man als Jugendlicher noch für Menschen und Ideen haben kann. Ein gedankliches Ideal, das es im Leben zu finden gilt, aber das es wohl nie im Leben gänzlich geben wird. Jede Generation sucht ihren eigenen Halt und hat ihre eigene Vorstellung von der Zukunft. Die Generation um Faber besteht aus durchschnittlichen Mittelschichtskindern, die, wie alle Jugendlichen, die Fehler der Erwachsenen anprangern und vermeiden wollen. Als Jugendlicher verlangt man die Einlösung des Versprechens, das das Leben einem gemacht hat. Doch bleibt es oft Phantasie und die Realität gestaltet sich mit dem Erwachsenwerden anders. In diesem und vielen weiteren aktuellen Romanen, die um diese komplexen Themen kreisen, spielt die Musik von Nirvana eine treibende und beschreibende Rolle. Ein Sound, der um den empfundenen Weltschmerz komponiert wurde und sich in einem wütenden Aufschrei aufbäumt.
Die Handlung spielt in einem fiktiven Ort Mornay, das auf Französisch wie totgeboren klingt. Dies ist eine Anspielung auf das Siegel, dass sich die drei Helden des Romans ausgedacht haben. Eine Feuerkrone aus drei Zacken, die über den Ringen (wohl eine Anspielung auf „Die göttliche Komödie“), die die Stadt symbolisieren, stehen. Dieses Zeichen haben sie auf ihre Schreiben gesetzt, mit denen sie Menschen Angst einjagen wollten. Würden sie dieses Schreiben selbst bekommen, wäre es ein Hilferuf einer der drei Freunde. Da Basil und Madeleine jeweils ein Schreiben bekommen haben, reist Madeleine in die Pyrenäen, um ihren damaligen Freund Faber in den Ort ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend zurückzuführen. Trotz seines sehr verwahrlosten Erscheinungsbildes ist Faber immer noch jener Rebell, der er damals war und seine Ausstrahlung schreckt ab, aber wirkt auch auf andere Weise sehr einnehmend. Er erscheint egozentrisch und leicht größenwahnsinnig. Basil und Madeleine leben und arbeiten beide noch mit ihren jeweiligen Lebenspartnern in Mornay.
Die drei kennen sich aus der Schulzeit. Medhi Faber ist plötzlich einfach da und setzt sich für seine neuen Freunde ein. Die drei werden nicht nur dadurch ein sehr enges Gespann. Doch bleibt Faber stets der Unnahbare, den etwas Mystisches umwebt. Was ist sein Geheimnis? Warum fügt er sich selber Wunden zu? Hat sein Schmerz etwas mit dem Tod seiner Eltern zu tun? Faber ist als Jugendlicher und auch als Erwachsener gewaltbereit und sehr geschickt in Manipulationen und anderen zauberhaften Kniffen. Sein Verhalten beginnt aufzufallen, als er den Lehrkörpern sehr böse Streiche spielt. Hier wächst Faber über sich hinaus. Sein Ego nimmt mit seiner Intelligenz zu und schwillt an. Der Zerstörer tritt immer mehr hervor und die Realität vermischt sich mit Übersinnlichem. Faber wird im wahrsten Sinne immer diabolischer. Als Jugendlicher wird er politisch aktiv und seine Rebellion verursacht ein großes Chaos in der Stadt. Nach seinem plötzlichen Weggang und der Wiederkehr als Erwachsener bringt er erneut das Chaos und die Zerstörung mit. Doch wer steht wirklich hinter dem vermeintlichen Hilferuf? Wer hat die Briefe versendet? Was ist damals wirklich mit den Eltern von Faber passiert? Ist er wirklich der teuflische Dämon, wie er sich empfindet und seine Freunde ihn letztendlich meinen zu sehen? Ist alles ein eingefädelter Racheplan?
Langsam baut sich der Text wie ein Bollwerk auf und die Geschichte wird spannend aus den wechselnden Perspektiven erzählt. Es sind die drei Freunde, die erzählen. Gegen Ende kommt eine weitere Stimme hinzu, der eigentliche Erzähler rundet das Bild ab.
Ein toller, verwirrender Roman, der einige Fragen aufwirft. Eine Geschichte, die fesselt und besonders die Figuren plastisch hervortreten lässt. Ein raffiniertes, besonderes Buch, in dem sich Grenzen verwischen: Länder- und Stadtgrenzen, psychologische und philosophische Barrieren und die Grenze zwischen den Jugendlichen und dem erwachsenden Weltempfinden. Die feine Linie zwischen fantastischer Literatur und einem Entwicklungsroman verschwimmt in diesem Roman zusehends. Ein bewegendes Buch, das überrascht, belehrt und unterhält.
Lieber hauke,
ich habe in der ZEIT-Beilage zur Frankfurter Buchmesse über Tristan Garcia gelesen, über seinen Roman „Faber. Der Zerstörer“ sowie auch sein philosophisches Werk „Das intensive Leben“. Das, was zum „intensiven Leben“ dort knapp beschrieben wurde, fand ich ganz spannend – auch, weil ich es ein Stück als Hintergrundtext zu Despentes „Vernon Subutex“ gelesen habe: „Lebe wild und gefährlich“ fasst Mangold die Ideen zusammen. Und das Motto passt ja auch zu Despentes Figuren. Nun erinnerst du mich wieder an „Faber“. Nach dem beeindruckenden Leseerlebnis des Vernon Subutex und dem auch beeindruckenden Roman „Staatenlos“ von Shumona Sinha taugt der „französische Faber“ doch ganz offensichtlich gut zur Vervollständigung des kleinen Ausflugs in die im Moment so starke französische Literatur.
Viele Grüße, Claudia
…alles Korrektur gelesen, nur die Anrede nicht! Es soll natürlich ein großes H sein.
Liebe Claudia,
Danke für Deine liebe Rückmeldung. Ich habe auch gerade einen französischen Rausch 😉 Despentes fehlt mir nun noch, um Deine genannte Vervollständigung abszuschließen.
Herzliche Grüße, Hauke