
Erneut schafft es Mareike Fallwickl mit ihrem Buch zu fesseln. Es fällt erneut schwer, sich der Geschichte und ihren Figuren zu entziehen. Doch dieses Mal platzt die ganze Wut aus den Zeilen. Schon immer hat die Autorin keine Wohlfühlbücher geschrieben. Ihre Bücher „Dunkelgrün fast schwarz“, „Das Licht ist hier viel heller“ und das neue Werk greifen aktuelle Themen auf, die emotional aufwühlen und genügend Gesprächsstoff verbreiten. Das Dunkle in dieser Literatur und die verstörende Wahrheit, die geschildert wird, bekommen aber stets etwas Erhellendes und es schwingt die Hoffnung mit.
Das Buch ist durch die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Dynamik besonders während der Pandemie und den Shut-, d.h. Lockdowns entstanden. Die Bürde der Frauen, auf denen die Hauptlast liegt, wird hier dargestellt. Auch wenn im Roman manches überspitzt dargestellt wird, ist doch alles immer noch wahr und es bleibt wohl die Wut. Doch die eigentlich negative Energie kann in Positives, zum Beispiel Kreativität, umgewandelt werden. Dies hat Mareike Fallwickl erneut in ihrer unwirschen, aber liebenswürdigen Weise gemacht.
Der letzte Satz der verschwundenen Mutter ist „Die Kartoffeln sind durch“. Dies erinnert an den Aufsehen erregenden Roman „Ich glaube, ich fahre in die Highlands“ von Margaret Forster. Dort wurden innerhalb eines Satzes die gesellschaftlichen Rollenbilder dargestellt: „Haben die Männer genug Kartoffeln?“. In „Die Wut, die bleibt“ ist es Helene, die den Anstoß gibt. Denn am familiären Esstisch zerbricht sie innerlich an ihrer Rolle. Genau in der geschilderten Situation ist es etwas Kleines, das Helene resignieren, kaputtgehen lässt. Sie steht auf, geht zum Balkon und stürzt sich in den Freitod. Die Familie, Johannes, ihr Mann, und die Kinder Maxi, Lucius und die älteste Tochter Lola sind in einem Schockzustand. Durch den Verlust wird ihnen bewusst, was sie hatten.
Lola ist eine Teenagerin und empfindet anfänglich in sich eine kleine Wut. Ein kleiner Fleck, der sich im Laufe der Geschichte ausdehnt. Sie und Helenes beste Freundin, Sarah, sind die Hauptcharaktere im Roman. Sarah ist eine erfolgreiche Krimi-Autorin. Während des Lockdowns ist sie mit einem Mann zusammengezogen, um nicht allein zu sein. Aus der anfänglichen Lust wird mehr oder weniger Gewöhnlichkeit, zumindest aber bleiben die beiden zusammen. Sarah lebt in typischen Rollenbildern. Sie vermisst ihre Freundin, die sie weiterhin fast täglich anrufen möchte und besucht Johannes und die Kinder. Dabei zeigt sich das gesellschaftliche Bild vom Fehlen der „Hausfrau“ im Alltäglichen. Der Spagat, den Frauen zwischen Arbeit und Familie tagtäglich meistern sollen, überfordert die meiste männliche Welt. Lola macht Veränderungen durch und ihre Wut lebt sie aus.
Die differenzierten Frauencharaktere und die auftretenden Nebenfiguren schaffen Raum für den Fallwickl-Stoff. Die Pandemie wird genannt, aber diese ist nur ein inhaltlicher Handgriff zu einer Episode, die die Wahrnehmung der Rollenbilder verstärkte. Das Private und der familiäre Alltag sind der Ausgangspunkt der Wut, die sich im Roman verselbständigt und sogar radikalisiert. Neben der Wut glänzt hier und dort Mareike Fallwickl auch mit Humor. Ein kraftvolles Werk, über das in der Buchwelt bereits viel gesprochen wird.
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Krasser Plot … ich werde mir das Buch mal vorsichtig zu Gemüte führen. Die Vorstellung, einen Freitod mitzuerleben, ist grausig, aber das Grausigere fand sicherlich vor dem Freitod statt.