Mirko Bonné: „Alle ungezählten Sterne“

Mirko Bonnés Romane sind immer ein Refugium in das man stets gerne eintritt, um dort länger verweilen zu dürfen. Ein neuer Roman, der die Bonné-Merkmale trägt. In der anfänglichen Stille verbirgt sich die später aufbrausende Vielfalt. Erneut sind es nach dem Roman „Nie mehr Nacht“ Brücken, die ein Leitbild darstellen. Das Menschliche, das unsere Gesellschaft prägt und ausmacht, wird immer polarisierender und ausgrenzender. Die Verbindungen zueinander sind dann jene Brücken, die aus Empathie, Zuwendung, Verständnis und letztendlich aus Liebe gebaut werden müssen. Auch wenn die vermeintliche Distanz noch so groß wirkt. Der Abbau solcher Brücken geht leider meist schneller als der darauffolgende Wiederaufbau.

Benno Romik ist pensionierter Brückenkommissar in Hamburg. Mit etwa 2500 Brücken gilt die Hansestadt als eine der brückenreichsten in Europa und seine Aufgabe war die Sichtung und die Instandhaltung der Brücken, die oft im normalen Straßenverkehr meist unbemerkt überfahren werden. Seine Lebenstage scheinen gezählt zu sein. Gerade hat ihn ein neuer junger Arzt mit einer tödlichen Diagnose konfrontiert. Um Klarheit zu bekommen, möchte Benno eine Nacht auf seinem Balkon verbringen. In dieser Nacht knallt Hollie Magenta in sein Leben. Er beobachtet sie und weitere selbsternannte „Zertrümmerfrauen“, wie diese einen parkenden Wagen anzünden. Er gewährt der durch die Sprengung leicht verletzten Hollie Asyl in seiner Wohnung. Die Ansichten und der Altersunterschied wirken unüberwindbar. Doch je mehr sich beide kennenlernen, erkennen sie, dass keiner so ist, wie er für den anderen erscheint. Als Hollie eines Abends weitere Zertrümmerfrauen einlädt, wird deutlich, dass ihre Pläne weitreichend sind. Hollie, eigentlich Hanna, möchte beim bevorstehenden großen Anschlag nicht mehr mitmachen und aus der Gruppe, die sich nach dem G20-Gipfel weiter radikalisierte, aussteigen. Benno hilft, aber ist Hanna ehrlich zu ihm oder nutzt sie seine Gutmütigkeit lediglich aus? Immer mehr verstrickt sich Benno in diese und seine Geschichte. Seine Zeit wird knapp. Aber wenn die Tage gezählt sind, was sind dann in der Umkehrbetrachtung jene ungezählten Tage? Unser eigener Kosmos kann niemals den ganzen erfassen. Dies wird allein durch den Blick in den Himmel deutlich, denn wie viele Sterne sehen wir tatsächlich? Immer mehr verbindet Benno seine Vergangenheit mit den aktuellen Geschehnissen. Er reflektiert, warum seine Ehe gescheitert ist und der Kontakt zu seiner Tochter schwierig und letztendlich ganz abgebrochen ist. Seinen Halt erhält er durch eine damalige Kollegin, zu der er eine tiefgründige Freundschaft pflegt und es zeigt sich immer mehr, wem seine Liebe gilt.

Mirko Bonné schreibt Lyrik und Romane und versteht es, seine Gedanken und Emotionen in Wortbilder einzufangen. Er führt seine inhaltlichen Themen durch Ausdruck und Stilistik fort. In diesem Roman arbeitet er viel mit Klammern. Somit wird bereits durch die Sprache etwas Zugehöriges ausgegrenzt. Wie in seinen Romanen üblich beginnt alles zart, leicht melancholisch, um dann immer tiefer in die Themen einsteigen zu können. Das Melancholische weicht einem dezenten Witz und am Ende bleibt ganz viel positive Lebensenergie bestehen. Dieser Brückenschlag zeigt unsere aufgewühlte Gegenwart mit ihren brüchigen Facetten. „Alle ungezählten Sterne“ ist Literatur, die unterhält, bildet und Freude bereitet. Die Handlung baut sich wie eine Fahrt auf einer steilen Brücke langsam auf und am Wendepunkt nimmt diese enorm Tempo auf und man schlittert nur noch dem Brückenende entgegen.

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