Vea Kaiser: „Rückwärtswalzer“

Vea Kaiser Rückwärtswalzer Kiwi

Vea Kaiser schafft es stets, auf gutem Niveau zu unterhalten. Es ist ihr dritter Roman und erneut schreibt sie voller Hingabe für ihre Figuren und Geschichten. Es ist ein Unterhaltungsroman, der Spaß macht. Die eigentliche Handlung, die Überführung einer Leiche in die Heimat, wird durch ergänzende Erzählstränge ausgefächert. Ein durch diverse Lebenskrisen gebeutelter Schauspieler und seine drei Tanten machen sich von Wien auf, um nach Montenegro zu fahren, weil der tote Onkel in seinem Geburtsort beerdigt werden wollte. Die Reise beginnt erst in der Mitte des Romans und ist nicht nur dadurch ein erfrischendes Roadmovie, sondern auch eine Reise durch die Geschichte der Familie Prischinger und durch die Jahrzehnte.

Lorenz Prischinger ist pleite, sein letzter Auftritt als Schauspieler ist lange her. Vor längerer Zeit hatte er eine Rolle in einem Pilotfilm und hofft auf den Startschuss der Dreharbeiten zur eigentlichen Serie. Doch ahnt er vorerst nicht, dass seine Rolle gestrichen wurde und ohne ihn bereits gedreht wird. Wenn jemand bei ihm an der Tür klopft, hat er nun beständig Angst, der Zwangsvollstrecker stehe davor. Denn er hat sich einen gewissen Lebensstandard angewöhnt, den er sich aber schon seit langer Zeit nicht leisten kann. Er lebt in einer Fernbeziehung, die auch kurz vor dem Scheitern steht. Also ist er vorerst mit seinen Problemen allein. Wären da nicht sein Onkel Willi und seine tollen Tanten, Mirl, Wetti und Hedi, die ihm immer wieder mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch jetzt fährt er zu ihnen, um sie um Geld anzubetteln. Doch diesmal wird er dort nur durch das üppige Essen verwöhnt.

Der Rückwärtswalzer beginnt. Die Geschichte von Lorenz Vater, Sepp und seinen drei Schwestern wird zurückblickend erzählt. Damals hatte Sepp auch noch einen Bruder, den Nenerl. Es ist die Geschichte einer Familie aus dem niederösterreichischen Waldviertel. Die Geschwister sind alle unterschiedlich und erleben ein Drama, das sie jahrelang beschäftigen und begleiten wird. Hedi, die jüngste der Schwestern, lernt später als Krankenschwester Willi kennen und lieben. Zu einer Zeit als Hedi sehr mit ihrem eigenen Leben hadert.

Onkel Willis Geschichte ist ebenfalls durch diverse Wendungen geprägt. Seine Kindheit und Jugend erlebte er in den Bergen Montenegros. Zu Willi wurde er auch erst später. Sein eigentlicher Name ist Koviljo. Sein Vater ist Fuhrmann und Trinker. Da beides keine gute Kombination ist, verliert er durch einen Unfall seine Arbeit. Da Koviljos Mutter, bevor sie schwanger war, als Hausmädchen tätig war, bekommt sie durch eine glückliche Fügung ihre alte Arbeitsstelle zurück. Die Familie zieht ans Meer und Koviljo wird vom neuen Hausherrn zu Willi umbenannt. Hier erlebt Willi neben dem ungewohnten Luxus auch ein neues Familienleben. Als er später als junger Mann einen Unfall hat, trifft er auf Hedi, die ihn pflegt.

Hedi und Willi leben zusammen und immer in der Nähe der Schwestern, Mirl und Wetti. Die Nachkriegszeit hat sie alle geprägt und so versuchen sie, ihre Ess- und Lebensgewohnheiten an die folgende Generation, besonders den gescheiterten Schauspieler Lorenz, zu vermitteln. Als Willi nun plötzlich stirbt, stehen alle vor einer besonderen Herausforderung. Willi wollte immer in seinem Geburtsland Montenegro beerdigt werden. Doch es fehlt das Geld. Willi hatte hierfür ein extra Sparbuch angelegt, das aber von der Familie, ohne sein Wissen, schon lange geplündert wurde. Kurzerhand wird die Reise mit dem kleinen Panda geplant. Lorenz und seine drei Tanten begeben sich auf die abenteuerliche und skurrile Reise von Wien in den Balkan.

Die ganzen Irrungen und Wirrungen innerhalb der Familie und deren Geschichte nimmt Fahrt auf. Neben der Leichtigkeit stehen auch das Tragische, der Verlust und die Geheimisse der jeweiligen Protagonisten.

Es sind erneut die schrulligen Figuren, die Vea Kaiser zum Leben erweckt und ihre Liebe zum Erzählen, die das Buch zu einem Lesespaß machen. Ich hatte sie seit ihrem Debüt „Blasmusikpop“ als Anwärterin einer Irving-Erbin ins Auge gefasst. Jetzt hat sie auch noch einen Bärenforscher ins Leben gerufen, der sie noch ein wenig näher an das amerikanische Vorbild rückt. „Rückwärtswalzer“ ist charmante Unterhaltung mit Kaiser-Schmäh.

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4 Kommentare

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4 Antworten zu “Vea Kaiser: „Rückwärtswalzer“

  1. Lieber Hauke!

    Auch ich habe den „Rückwärtswalzer“ voller Freude getanzt:

    [Rezension] Vea Kaiser – Rückwärtswalzer: oder Die Manen der Familie Prischinger

    Herzlichen Gruß
    Andreas

  2. Eine wie immer sehr gelungene Rezension, lieber Hauke. Und dennoch bin ich erleichtert: Das ist mal eines der wenigen von Dir besprochenen Bücher, welches mich nicht anspricht. Gut für meinen Kontostand. 🙂

    Herzliche Grüße vom Spessart an die Küste, habt ne schöne Woche
    Stefan

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