Anna Gien: „Paris · Rot“

Dieser Roman erschließt sich nicht sofort. Er ist dabei kein Kunstwerk, das lediglich mit Können protzt, sondern leichtfüßig, fast schon dunkel-elegant eine traumwandlerische Wirklichkeit erzeugt. Ist es eine Nacht voller Träume? Träume, in denen sich Ängste, Sehnsüchte, Begierde mit Phantasien und persönlichen Visionen buhlen? Dabei kommt es zu einer Reduktion der Persönlichkeit. Die Namen der Figuren verweben, verschwinden und tauchen wieder auf. Alle textlichen Abschnitte wirken surreal und märchenhaft. Die Rollen, in die jene Figur schlüpft, sind wandelhaft. Sind es ihre Charaktere oder jene, die sie für die Besucher spielen soll? Ein Hurenspiegel über dem Bett und die ominösen Männer, die auftauchen, zeigen eine Möglichkeit. Die Metropole Paris weckt schon immer durch die Vorstellung Lust und Lebenslust. Das Rouge mit dem sexuell aufgeladenen Varieté ist ein Bestandteil der Metaphorik. Denn alles ist hier Symbol und erzeugt Bilder, die voller Sinnlichkeit sind und von raubtierhaften Wesen und Menschen bevölkert werden.

Die Königin der Nacht ist ein Mädchen mit vielen Namen. Sie hat einen Zufluchtsort gefunden, das Hotel D´Avalon. Dieser mythische Ort wird ihr Refugium. Die Welt um sie droht zerstört zu werden und alles, was ihr nun bleibt, sind ihre Traumflüchte. Doch sind es Träume? Sind es geforderte Lebensspiele? Wie bei jeder Weissagung, erscheint auch hier ein Komet und Namen und Inhalte zeigen sich als falsch. Wenn das Positive im Leben schwindet, sucht das Ego Erklärungen und klammert sich am Positiven. Das Schöne, das lustvolle Leben versucht den Geist zu belohnen. Besonders wenn die Apokalypse sich ankündigt. Der Symbolismus in der Literatur versucht dem Materialismus, den großen Veränderungen und der Bedrohung des Untergangs in Bezug auf die Gesellschaft und die Natur etwas Erklärendes entgegenzuhalten. Die Wertigkeit löst sich auf, wenn Umbrüche unsere Leben bedrohen. 

Das Mädchen im Hotel als Begehrende oder Begehrte wirbelt durch Ernstes, Verstörendes und durch eine Welt, die unrealistisch real wirkt. Die Episoden und Szenen sind grotesk, voller angedeuteter Erotik und trotzen stets den gesetzten Weltbildern. Die Traumwelt verwebt, verdichtet und macht vieles dunkel, damit das Helle gesehen werden kann. Das intime Leben verwandelt sich. In den Tiefen des Erlebten, in diesem Labyrinth aus erdachten Emotionen und empfundenen Realitäten zeigt sich eine Vielfältigkeit.

Der Text fordert, gibt dabei nicht an. Die Bilder sind überbordend, aber nicht überlaufend. Ein Kaleidoskop, das letztendlich den Blick auf uns wirft und die Symbole erschließen sich. Ein rebellisches Werk, das in Tiefrot gemalt wurde und Paris als Klischeehandlungsort gerecht wird, um daraus ein Vielfaches zu erzeugen. Mit dem Buch reist man aus der Wirklichkeit, um in diese benommen zurückzukehren. Ein Buch das still erobert und zuweilen lautstark erobert werden will. Die Sinnhaftigkeit und das träumerische Verwirrspiel erklären sich nur durch eigenes Betrachten.

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