Terézia Mora: „Muna oder Die Hälfte des Lebens“

Erneut sind es die Ungeheuer in unserer Gesellschaft, die Terézia Mora beschäftigen. Der Roman handelt von einer jungen Frau, die in eine Beziehung gerät, die ihr nicht gut tut. Es geht um Abhängigkeit, Erniedrigung und Gewalt. Nach ihren Romanen um Darius Kopp, einen IT-Spezialisten, beginnt die Autorin mit diesem Roman eine Trilogie über Frauen. Dabei schaut Terézia Mora auf unser gesellschaftlich geprägtes Frauenbild und setzt sich mit der Misogynie auseinander. „Die Hälfte des Lebens“ ist der weiterführende Titel und zeigt die beschriebene Lebensspanne des Hauptcharakters, aber versinnbildlicht auch jene Lebensphase, die besonders prägend ist. Eine Frau, die ihre Freiheit nicht findet. Der Freiheitsgedanke wird hierbei im Privaten und im öffentlichen Leben, dem Staatsapparat, beschrieben.

Muna hat keine behütete Kindheit. Der Vater ist vor einigen Jahren gestorben. Am Anfang des Romans hat die Mutter gerade eine Überdosis Tabletten mit viel Wein zu sich genommen und kommt in die Klinik. Sie überlebt, wird aber weiterhin keine große Hilfe für ihre Tochter sein. In dieser Szene lernen wir Muna kennen. Als sie dem Blaulicht mit der abtransportierten Mutter folgen möchte, findet sie ihr Fahrrad mit aufgeschlitzten Reifen vor und sie reagiert lautstark.  Sie ist gerade volljährig geworden und verliebt. Immer wenn sie einen Zufluchtsort sucht, findet sie diesen im Theater, in dem ihre Mutter tätig ist. Die Rollen, die ihre Mutter mimt, werden durch deren belastete Psyche immer kleiner, dennoch ist Muna meist ein Gast, der sich in den hinteren Reihen oder im Salon aufhalten darf. Sie schreibt und macht ein Praktikum bei einem Magazin. Hier lernt sie den älteren Magnus kennen. Er unterrichtet Französisch und ist Fotograf. Sie ist von ihm begeistert und sofort verliebt. Sie folgt ihm, um mehr zu erfahren. Immer wieder laufen beide sich über den Weg und es kommt zu einer Liebesnacht. Magnus ist danach verschwunden. Der Anfang des Romans spielt in den letzten Zügen der DDR. Den Mauerfall bekommt Muna vorerst gar nicht mit. Auch die Freiheit wird in Folge für Muna eine vermeintliche werden.

Muna beginnt sich in Berlin einzuleben und hat flüchtige Beziehungen. Sie möchte weiterhin literarisch schreiben. Nach den mystischen sieben Jahren begegnet sie wieder Magnus. Muna gibt mehr und mehr von sich auf, um ihm nahe zu sein. Sie erträgt Abweisungen, Demütigungen und Gewalt. Muna hält an ihrer Liebe fest und gibt nicht auf.

Der Roman spielt mit großen Bildern. Das Bild der Heimatlosen zeigt sich im Elternhaus, in den Beschreibungen der Herumirrenden in der DDR und später innerhalb der toxischen Beziehung. Es zeigt auf, wie schnell wir in respektlose oder missbräuchliche Beziehungen geraten können. Der Einfluss, den andere auf uns, unser Leben, die Liebe und die Freiheit haben, ist wohl meist größer als gedacht. Das Individuum wird beeinflusst durch die Gesellschaft, Politik und Beziehungen. Dabei spielen immer die persönlichen Entscheidungen eine Rolle, doch sind diese stets frei? Teréza Mora hat eine Figur erschaffen, die nicht durch mangelnde Bildung, Religionszugehörigkeit oder Familienstand in ihren Lebenslauf gezwungen wird. Dennoch sind es die äußeren Bedingungen, die die junge Frau in der Hälfte ihres Lebens beeinflussen.

Das Buch ist nominiert für den Deutschen Buchpreis und ich, der Leseschatz, bin in diesem Jahr Buchpreisblogger. Das bedeutet, mir wurde dieser Titel als Blogger zugewiesen, den ich hier vorstellen darf. Teréza Mora wurde 1971 in Ungarn geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für den Roman „Ungeheuer“ erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis und für ihre Erzählung „Seltsame Materie“ wurde sie mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Da sie ferner als Übersetzerin tätig ist, konnte sie ein enormes Sprachgefühl entwickeln und erzeugt durch ihre Texte tiefgründige Bilder. „Muna oder die Hälfte des Lebens“ ist ein schnell zugängiger Roman, der aber nicht einfach ist. Die zügige Vertrautheit mit dem Text liegt an der genauen Charaktergestaltung und deren Entwicklung. Ein großer Roman, der nachhaltige Emotionen und Gedanken erzeugt.

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