Viktor Gallandi: „Kaspar“

Eine sich auflösende Welt beherbergt einen Spinoza lesenden Teenager, der versucht durch Worte Verständnis zu erlangen. Sein Name ist Kaspar und auch sein Alter hat er mit jenem gemein, der das Kaspar-Hauser-Syndrom prägte. Hospitalismus als Merkmal einer Gesellschaft. Denn verlieren wir nicht immer mehr an sozialer Verbundenheit und geben uns zum Beispiel der Technik hin? Der Verlust an Verbundenheit, Tiefe, Ethik und Empathie zeigt sich auch an den Reigen an Menschen und Wesen, denen Kaspar begegnet.

Er lebt in einem Zimmer und wird von einem Roboter gepflegt, den er Viech nennt. Warum ist Kaspar dort und wo ist er überhaupt? Die Landschaft wirkt mondähnlich. Er schreibt, um sich und die Geschichte zu erfassen. Sein Trip zum ehemaligen Ich beginnt.

Als die Schulen geschlossen wurden zog Kaspar vorerst in den Wald. Dann erfährt er von der mysteriösen Firma Æxego und möchte dort ein Praktikum absolvieren. Der Leiter der tankstellenartigen Filiale rezitiert gerne seine eigenen Werke und möchte diese veröffentlicht wissen. Doch die Hauptaufgabe von Kaspar wir sein, den geschäftsabtrünnigen Darz aufzuspüren. Mit einem Micra macht er sich auf den Weg. Die Hauptverkehrsstraße ist eine Autobahn, die nur eine Richtung kennt, keine Gegenspur hat und durch eine Gegend führt, die keine Zukunftsaussichten hat. Doch gibt es Nebenwege, die Kaspar aufsucht, um zum Beispiel seine Großmutter im Heim zu besuchen. Auf seiner ganzen Reise begegnet er Menschen und Wesen, die alle verfremdet, bizarr und unheimlich sind. Alle haben den weltlichen Bezug verloren. Kaspar ist es, der dies alles fixiert und erinnert. Sind es Erinnerungen oder Fantasien, wie das Telefongespräch mit der Lektorin? Kein Anschluss unter falscher Nummer. Immer wieder wird Kaspar vom Viech aufgesucht. Der Roboter bringt Nahrung und versucht, den Schmutz zu bannen. Das Natürliche soll kontrolliert werden. Kaspar schreibt und spricht zuweilen seine Leser, also uns, direkt an und erlaubt sich zuweilen auch seine Scherze.

Ein Roadtrip mit grotesken Abwegen. Literarisch werden hierbei viele Genres gestreift und es wird großartige Unterhaltung geboten. Klug, witzig und mit Tiefgang wird die Gesellschaft dargestellt und verfremdet. Aber ist es Science-Fiction, die doch zeigt, was ist und nicht was wird?

Der Roman fesselt durch Form und Inhalt. Alles wird verwandelt, doch die entnommene Materie, unsere Gesellschaft, bleibt stets erkennbar. Im Mittelpunkt ein Junge, der versucht das Mitmenschliche zu finden. Eine irre gute Geschichte.

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