Shubhangi Swarup: „Breiten des Verlangens“

Die „Breiten des Verlangens“ ist literarische Tektonik. Ein großräumiges Epos voller Bewegung, Veränderung und Verbindungen. Der Roman lässt Bilder erblühen, die lange nachwirken und im wahrsten Sinne verzaubern, denn dieses Werk ist magischer Realismus. Durch die poetische und schöne Sprache packt einen selbst ein Gezeitensog, der einen am Ende aus dem Buch leicht verändert herauspurzeln lässt. Die Geschichte, die der Roman erzählt, greift tief in die menschliche Entwicklung und unseren Lebensraum. Das kleine individuelle Leben wird hierbei der Entstehungsgeschichte der Kontinente gegenübergestellt und alles ist letztendlich verbunden. Doch gibt es Kontinentalplatten, die abdriften und sich wieder andernorts aufeinander zubewegen. Im Roman taucht später eine Figur auf, die fragt, was eine gute Geschichte ausmacht. Was ist es wert überhaupt erzählt zu werden? Spannend wird es stets, wenn es um Veränderung und Entwicklung geht. Stille zu erlangen ist dabei schwer, denn Stillstand gibt es nirgends.

Das Werk ist in Abschnitte: „Inseln“, „Verwerfungen“, „Tal“ und „Schneewüste“ eingeteilt. Jedes Kapitel wirkt in einer anderen Perspektive. Doch stehen alle Charaktere miteinander in Verbindung. Wie Kontinente sind sie miteinander verbunden, aber es kommt dabei auch zu Spannungen und Verwerfungen. Ein junger Botaniker lebt auf den Andamanen. Sein Leben ist durch die Natur geprägt, die er zu ergründen versucht. Seine Ehe ist eine arrangierte, die zufällig durch einen Weisen Anschub erhielt. Doch sind die Eheleute sich nicht fremd und ihre Liebe und Seelen finden zueinander. Sie ist feinfühlig und eng mit der Geisterwelt verbunden. Sie spricht mit Bäumen und Geistern. Durch eine Verwerfungslinie ist eine Grenze für die unruhigen Seelen geöffnet. Sie fühlt und erlebt, was ihr Mann empfindet und träumt zuweilen seine Träume mit. Beide wachsen immer mehr zueinander. Doch wird ihr Glück durch viele Erschütterungen gebrochen. Ihre Haushaltshilfe und späteres Kindermädchen, sowie deren Sohn und Freund werden die Hauptfiguren der folgenden Abschnitte. Somit wandert der Text durch Zeiten und Gezeiten. Jeder Handlungsstrang vertieft die Geschichte und Charakterisierungen. Dabei wird von menschlichen Schicksalen, wie politische Gefangenschaft oder der Verlust durch Naturkatastrophen, erzählt. Das individuelle Sein steht dabei den Machtapparaten der Regierungen gegenüber zuweilen gleichfalls machtlos ausgeliefert wie bei einem Tsunami. Der Roman sprengt viele Grenzen und es werden Erinnerungen geweckt an Werke von Arundhati Roy oder Isabel Allende. Das geistige und materielle Leben tanzt mit den Figuren und schleudert diese in Geschichten, die uns sofort gefangen nehmen. Ein Epos zum Abtauchen und Staunen.

Shubhangi Swarup lebt auf Goa. Sie ist Autorin, Journalistin und Pädagogin. „Breiten des Verlangens“ (Latitudes of Longing), ihr Debütroman, wurde bereits in 15 Sprachen übersetzt und ist ein internationaler Bestseller. Übersetzt wurde die deutschsprachige Ausgabe von Milena Adam.

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