Iris Wolff: „Lichtungen“

Dies ist der fünfte Leseschatz von Iris Wolff. Seit ihrem Debüt begeistert sie uns und erhält seit „So tun, als ob es regnet“ zum Glück auch ein größeres Publikum. Ihre literarische Stimme zählt zu den bedeutenden der Gegenwartsliteratur. Im neuen Roman erzeugt sie erneut stille Bilder, die voller Klang sind und sie reist mit uns zu bestimmten Erinnerungsmomenten der Protagonisten. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Freundschaft, Liebe und der Zugehörigkeit. Wer die Werke von Iris Wolff kennt, weiß, dass alle Figuren, ob Haupt- oder Nebencharakter, von Bedeutung sind. Auch tauchen ihre Fragen nach der Prägung durch die familiäre Verwurzelung und Herkunft auf und der Wunsch, dieser entkommen zu können.

Es ist die Geschichte von Lev und Kato. Eine Geschichte, die uns sofort in ihren Bann zieht und zwei Menschen vorstellt, die uns lange in Erinnerung bleiben werden. Dabei lernen wir die beiden in Kapitel neun kennen, denn Iris Wolff schreibt den Roman rückwärts. Dies geschieht, wie im wahren Leben, wenn man sich neu kennenlernt, denn ab dem Moment erfährt man im Rückblick von der individuellen Geschichte, die das Fundament der Gemeinsamkeit gießt. Dabei wird nicht alles erzählt, einiges bleibt im Stillen und schimmert nur ganz leise durch die Zeilen hindurch. Die Momente, die uns erzählt werden, sind wie Lichtungen im Leben von Lev und Kato. Die Kapitel sind eindrücklichste Augenblicke des Geschehens, Erinnerungen über die Zeit verstreut, die wie Lichtungen eine Erkenntnis erhellen. Die titelgebende Metapher suggeriert ebenfalls ein Drinnen und Draußen und damit spielt die Autorin.

Die Handlung beginnt damit, daß Lev Kato nach Zürich hinterherreist. Lev ist bisher meist in seiner bekannten Umgebung geblieben. Großgeworden sind beide im kommunistischen Vielvölkerstaat Rumänien. Kato ist in die Welt aufgebrochen und hat Lev aus allen Regionen Postkarten gesendet. Bis er eine erhält, auf der sie fragt, wann er denn komme. Dies weckt ihn aus seiner Erstarrung. Kato lebt den Tag mit ihrer Kunst und erneut ist es die Nähe, die Freundschaft, die beide sehr eng verbindet. Nun beginnt ihre Reise durch Europa und zu sich. Im Rückblick wandern wir in die bedeutenden Lebensstationen von Lev, die stets durch Kato geprägt sind. Die Zeitreise erzählt von seiner Fahrradtour, auf der er sich neu zu finden sucht, von seiner Arbeit im Holzfällercamp, seinem Kuraufenthalt und von seiner Jugend und Kindheit. Als Schüler ist etwas passiert, dass ihn erstarren ließ. Er konnte die Beine nicht mehr bewegen und war ans Bett gefesselt. Kato war es, die den Auftrag erhielt, ihn zu besuchen und mit den Schulaufgaben zu versorgen. Dies ist der Anfang ihrer unzerbrechlichen Freundschaft und Nähe.

Der Roman ist voller Schönheit und Poesie. Das Leben wird dabei im Zusammenhang mit der Beziehung der ungleichen Freunde im Rückblick erzählt und streift dabei die Geschichte und das Politische. Ein zeitloses Wunderwerk, das berührt und mit einer Leichtigkeit mit Schattierungen und Farben hantiert. Der ganze Roman ist wie ein Kunstwerk, das beim ganz genauen Hineinschauen immer mehr von sich preisgibt.

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