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Anna Funder: „Alles, was ich bin“

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Anna Funder hatte das Glück, eine Zeitzeugin des letzten Jahrhunderts kennen zu lernen – Ruth Blatt. In Berlin Fotografin, in London Widerstandskämpferin und Mitglied einer Gruppe von Freunden um den Schriftsteller und Revolutionär Ernst Toller, die für die Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzten und gegen die Nazis kämpften.

Anna Funder, 1966 geboren, studierte in Melbourne und Berlin. Sie ist Autorin, Anwältin und Dokumentarfilmerin. Für ihr erstes Buch „Stasiland“ erhielt sie den Samuel Johnson Award.

Ernst Toller wurde am 1. Dezember 1893 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Ebenso, wie viele andere zog er als „Hurra-Patriot“ in den Ersten Weltkrieg und kam als Pazifist aus den Schützengräben zurück. Nach dem Scheitern der Räterepublik wurde er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Während der Haft entstanden seine bedeutendsten Werke.  Nach seiner Haftentlassung setzte Toller sich weiter für sozialistische Ideale ein. Er prophezeite, daß Hitler versuche, auf legale Weise an die Macht zu kommen und diese dann auch nie freiwillig mehr abgeben würde.

Ab 1933 im Exil bemühte Ernst Toller sich, die Zersplitterung der politischen Kräfte aufzuheben. 1935 werden in einem Londoner Hotelzimmer die bekannten deutschen Widerstandskämpferinnen Dora Fabian und Mathilde Wurm tot aufgefunden. Die Gestapo spricht von Selbstmord der beiden Frauen, die eng mit dem charismatischen Revolutionär und Schriftsteller Ernst Toller bekannt waren.

„Kann Kunst die Wirklichkeit beeinflussen?“

Anna Funder beschreibt in ihrem wunderbaren Buch die Beklemmung dieser Epoche und versteht es, den Leser diese Zeit nacherleben zu lassen. Die verschiedenen Schicksale, die jeweils aus der Perspektive der einzelnen Personen erzählt werden, spiegeln den leidenschaftlichen Kampf für die Freiheit wieder. Erzählt wird das auf wahren Begebenheiten basierende Buch als Liebesgeschichte, als ein literarisches Werk über Leidenschaft und Verrat.

Von Hitlers Machtergreifung in Berlin an begleitet Anna Funder in ihrem großen Roman die Gruppe von Freunden, die über Nacht zu einer Gruppe von Verfolgten wurde. Sie flohen nach London, wo sie neue Verbündete fanden und große Gefahren auf sich nahmen, um den Widerstand gegen die Nazis zu organisieren. Sie erzählt von der Verbindung außergewöhnlicher Menschen, die in Zeiten größten Aufruhrs alles riskieren für die Freiheit und die Liebe.

Eine uneingeschränkte Leseempfehlung! Ein tolles, sehr gut geschriebenes und spannendes Werk. Ich denke und hoffe, dieses Buch wird auch auf dem deutschen Buchmarkt seine Preise erhalten. Ein großes Leseabenteuer!

 

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Februar 18, 2014 · 2:46 pm

Haruki Murakami: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“

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Der neue Murakami, sein größter Erfolg, ein Roman über Freundschaft, Liebe, Schmerz und Schuld.

Um seinen Schmerz, seine seelische Wunde zu heilen muß Tsukuru Tazaki in seine Vergangenheit reisen. Auf der Suche nach seinen damaligen Freunden, den vier farbigen Menschen in seinem farblosen Leben, die ihm eine nie verheilte Wunde zugefügt hatten.

„Der Auslöser für die starke Anziehungskraft, die der Tod auf Tsukuru Tazaki ausübte, war eindeutig. Seine vier engsten Freunde hatten ihm eröffnet, dass sie ihn niemals wiedersehen oder mit ihm sprechen wollen. So unvermittelt wie erbarmungslos. Ohne ihm den Grund für das harte Urteil mitzuteilen. Und er hatte nicht zu fragen gewagt.“ (Textauszug aus Kapitel 1).

Seine vier Freunde sind die vier Farben. Alle haben eine Gemeinsamkeit, die Tazaki nicht teilt, in jedem Nachnamen kommt eine Farbe vor. Die beiden Jungen heißen Akamatsu, Rotkiefer und Aoumi, blaues Meer. Die beiden Mädchen Shirane, weiße Wurzel und Kurono, schwarzes Feld. Nur der Name Tazaki beinhaltet keine Farbe. So nimmt er sich auch wahr: Leidenschaftslos und farblos. Es sind immer die farbigen Menschen, denen Tazaki begegnet, die ihn begleiten und prägen. Die Menschen, die ihm aber Tiefe geben, tragen auch Farben im Namen, doch sind es die Menschen, die entweder alle Farben einverleiben, d.h. Schwarz oder nur noch aus Licht sind, d.h. Weiß. Sein einziger Freund während seiner späteren Studienjahre ist „Grau“ eine Mischung aus Weiß und Schwarz. Hier wanderten stets meine Gedanken an die Farbenlehre von Goethe.

Seine Reise in die Vergangenheit ist untermalt durch ein Musikstück, das Shirane stets auf dem Klavier gespielt hatte: „Le Mal du pays“. Das ist das achte Stück von Franz Liszts „Annés de pélerinage.- Première année: Suisse“. Ein passendes Werk. Es sind die tönenden Erfahrungen der Wanderjahre von Liszt. Dies lässt wiederholt an Goethe denken (Wilhelm Meister). Die komplette Aufnahme von „Annés de pélerinage“ eingespielt von Lazar Berman trägt in sich eine Sehnsucht und Melancholie, die von heiteren, nie aber ins kitschige gehenden Melodiebögen unterbrochen werden. Dies ist eine passende musikalische Untermalung der Seelenzustände des Herrn Tazaki, der sich in Japan und Finnland auf die Suche nach Klärung und Heilung macht.

Sara, die Frau, die in der Gegenwart in Tazakis Leben kommt, ist erschüttert, denn wenn ihre Liebe eine Chance haben soll, beschwört sie ihn, diese Pilgerreise anzutreten, um sich selber zu finden. Seine Farbe, seinen Klang. Er ist Ingenieur für Bahnhöfe. Seine Aufgabe ist es, diese zu restaurieren, technisch aufzuwerten und die Menschenströme bei Umbaumaßnahmen umzuleiten. Er ist Wegweiser ohne es zu sein. Er liebt es, Menschen an Orten zu beobachten, an denen man ankommt, umsteigt oder wegfährt. Er, der selber einen Ort zum Ankommen sucht.

Ein monumentaler Roman, der lange wirken wird und wohl jetzt schon einer der literarischen Höhepunkte im Jahr 2014 ist. Ein Werk über vier Farben und eine Reise, das auch als gedrucktes Buch ein Kunstwerk ist. Das gebundene Buch hat auf dem Titel einen grauen Schmetterling, der erst durch den Folienumschlag seine Farben erhält. Möge das Buch viele Leser finden und in diesem lange nachklingen und eine Färbung hinterlassen…

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Januar 6, 2014 · 10:36 am

Dennis Lehane: „In der Nacht“

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„Ein paar Jahre später fand sich Joe Coughlin auf einem Schlepper im Golf von Mexico wieder. Seine Füße steckten in einem Block Zement.“

So beginnt der neue Roman von Dennis Lehane: „In der Nacht“.
Amerika während der Prohibition. Joe Coughlin, ein kleiner Handlanger des Syndikats in Boston, steigt in Florida zum mächtigsten Rum-Schmuggler seiner Zeit auf. Und setzt sein Leben aufs Spiel – aus Liebe zu einer Frau. Ein atemloses, literarisches Gangster-Epos.

Ich gestehe, es ist mein erster Lehane. Doch kenne ich die sehr guten Verfilmungen seiner Romane: „Mystic River“ und „Shutter Island“.
Lehane ist aber wohl mehr als ein Vorlagenschriftsteller für große Kinomomente. Er ist dreifacher Gewinner des Krimipreises und doch ist dieser Roman vielschichtiger als ein gewöhnlicher Kriminalroman.
Man wird durch den Prolog gleich in das Amerika während der Prohibition versetzt und Lehane erzählt frisch, als hätte es bisher noch keine Mafia-Literatur gegeben. Ich bin in der Geschichte versunken und obwohl die Bilder in meinem Kopf filmreif und irgendwie stets Bekanntes aufzeigen ist doch alles anders und neu. Ein purer Lesespaß!

»Und plötzlich kam ihm der Gedanke, dass alles Bemerkenswerte in seinem Leben – im positiven wie im negativen Sinne – seinen Anfang an jenem Morgen genommen hatte, als er das erste Mal mit Emma Gould zusammentraf.«

Ein Roman vom kleinen Handlanger zum mächtigsten Rum-Schmuggler seiner Zeit.

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Dezember 7, 2013 · 10:27 am

„Der Atem der Welt“

BildJetzt als Taschenbuch: „Der Atem der Welt“ von Carol Birch.
Ich hatte es bereits letztes Jahr als gebundene Ausgabe sehr gerne gelesen. Ein phantastischer „Abenteuerroman“ der mich durch seine dichte Sprache und die geschilderten Sinneswahrnehmungen gefesselt hatte. Ich tauchte ein in die alte Zeit und meinte sogar die Düfte, die angenehmen sowie auch die unangenehmen, wahrzunehmen. Ich wurde Teil der Seemannschaft und gleich vom Anfang an ahnte ich, das dieses Buch einen auf eine abenteuerliche Reise mitnehmen wird. Ein schöner Roman, der einem etwas von der Welt zeigt und es versteht auf diese hungrig zu machen…

Zum Inhalt: Jaffy Brown wächst in ärmlichen Verhältnissen auf: Londons Docklands im Jahr 1857 stinken nach Moder und Unrat, sind bevölkert von Matrosen und Huren. Eines Tages begegnet Jaffy einem aus einer Menagerie entlaufenen Tiger, einem herrlichen Geschöpf auf geschmeidigen Pfoten. Eine Begegnung, die ihn in eine fremde, verheißungsvolle Welt voll exotischer Schönheit, wilder Tiere und wundersamer Geschöpfe versetzt. Und die in Jaffy Sehnsucht nach der Weite des Meeres weckt: Mit seinem besten Freund Tim heuert er auf einem Walfänger an, der sie auf eine abenteuerliche Reise führt, tief hinein in die Stürme des Indischen Ozeans. Und schließlich an die Grenzen der Welt und ihres Menschseins.

BildFünf Fragen an Carol Birch und Lesung aus »Der Atem der Welt: http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=Xt3y6xo_Qd8

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November 8, 2013 · 11:29 am

„Der Schimmelreiter“

BildDa ich nicht nur durch meinen Namen „Hauke“ mit dem Text von Theodor Storm verbunden bin, war ich auf das spannende Projekt von Ute Helmbold und der Edition Eichthal sehr neugierig: Storms Schimmelreiter als Graphic Novel.

Mit schwungvollen und stimmungsvollen, teils düsteren Zeichnungen erzählt sie von Natur und Naturgewalt, von Glauben und Aberglauben, von Eitelkeit und Größenwahn. Ihre Bilder schaffen dem Drama eine bedrohliche Szene – die Katastrophe wird sichtbar. Storms Text bleibt weitgehend erhalten, allerdings gestaltet auf den drei Ebenen: Bild – Dialog – Erzählung.

Der Schimmelreiter wird wieder neu erlebbar, als ein tief beunruhigendes Erlebnis!

Hier ein kleiner Auszug: „Der Schimmelreiter„ Graphic Novel von Ute Helmbold nach Theodor Storm. (Mit freundlicher Genehmigung von Edition Eichthal) BildBildBild

 

 

 

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November 5, 2013 · 5:00 pm