Peter May: „Moorbruch“

Peter May Moorbruch Zsolnay

Das Buch lebt von der Stimmung und seinem Schauplatz, den Hebriden. Wie Valerio Varesi die Po-Ebene literarisch und bildgewaltig verewigt hat, schafft es der erfolgreiche Autor Peter May für Schottland. Als würde man einen guten Bruichladdich oder Laphroaig genießen, der durch seine Note sehr viel aus seiner Landschaft zu berichten hat. Viel Torf und sattes Grün der urbanen Natur sind der wesentliche Bestandteil dieses Romans, in dem es ums Erwachsenwerden, um einen mysteriösen Todesfall und um die Freundschaft geht.

Die Insel, auf der die Handlung spielt, hat viele unwegsame Bereiche, die man lediglich mit dem Boot oder zu Fuß erreicht. So ist auch die Seele der Bewohner beschaffen, vieles ist im Verborgenen und durch kleinste Risse, die aufbrechen können, kommen die Abgründe zum Vorschein. Gleich einem Moorbruch. So ein Bruch, der hier im schottischen Hochmoor die Handlung umrahmt, entsteht, wenn es länger nicht regnet und die Torfschichten austrocknen und aufreißen. Wenn es nach der Trockenperiode zu stärkeren Regenfällen kommt, laufen die Wassermassen in diese Risse und spülen die unteren Schichten weg. Der ganze Torf gerät dann ins Rutschen und die stehenden Wassermassen, die auf der trockenen Torfschicht liegen brechen ein. So können ganze schottische Lochs vom Erdboden verschluckt werden. Das Buch hieß ursprünglich „The Chessmen“, dann „Le braconnier du lac perdu“ und wurde jetzt unter dem Titel des geologischen Phänomens veröffentlicht.

Der Protagonist, Fin Macleod, kommt nach Jahren auf seine Heimatinsel zurück. Er war Polizist in Edinburgh und kündigte seine Stelle, als sein Sohn bei einem Verkehrsunfall getötet wurde und seine Ehe daran zerbrach. Fin taucht somit in seine Vergangenheit ein und trifft auf alte Geschichten und Freunde. Damals als Schüler waren sie eine Clique, die mit den Mofas die Insel erkundeten und eine Rockband gründeten. Fin war deren Roadie und verliebt, wie alle Jungs in Mairead, die einzige Frau der Band. Fins bester Freund, den alle Whistler nennen, spielte die Tin Whistle, die der Band ihren besonderen, mystischen Ton gab. Als die Band sich umbenannte und weiterzog, stieg Whistler aus. Die Band feierte unter dem Namen Amran größere Erfolge. Die Freundschaft zwischen Fin und Whistler hat eine besondere Tiefe bekommen durch ein Schiffsunglück, das ihre Großeltern erlebt, d.h. überlebt hatten.

Jetzt in der Gegenwart trifft Fin auf seine damaligen Freunde. Whistler, der damals der schlauste Schüler war, hat keine weiterführenden Schulen besucht und lebt auf der Insel ein sehr einfaches Leben. Er wirkt wie ein Berserker, der sich von der Natur nimmt, was er zum Leben benötigt. In ihm schlummern Phantome der Vergangenheit. Seine Frau hatte ihn mit der gemeinsamen Tochter verlassen und als sie starb bekam der neue Lebenspartner das Sorgerecht für das Mädchen. Fin stößt nun in das Gefüge der Insel hinein, denn er wird von einem Gutsbesitzer eingestellt, damit er die Ländereien bewacht und um der Wilderei Herr zu werden. Der erste, den Fin in die Schranken weisen soll, ist sein alter Freund Whistler, der in einer Hütte mitten in der Natur haust und durch das Schnitzen von Schachfiguren lebt. Fin wird in die Plänkeleien zwischen dem Gutsbesitzer und seinem Freund hineingezogen. Beide Parteien meinen, die jeweils andere schulde ihr etwas. Während Fin und Whistler durch das Moor gehen, werden sie Zeuge eines Moorbruchs, der das Wrack eines Flugzeugs zu Tage bringt. Es ist das Flugzeug von Roddy, dem damaligen Bandleader von Amran. Er wurde nach einem Flug als vermisst gemeldet, aber er soll über dem Meer verschollen gegangen sein, wie kommt die Maschine ins Moor? Die Leiche im Flugzeug ist sehr verwest, doch zeigt der Schädel, dass es sich um ein Gewaltverbrechen gehandelt haben muss. Whistler verhält sich komisch und Fin beginnt um die Geschichte herum zu recherchieren. Was ist damals vorgefallen, wer hat Roddy töten wollen oder ist es gar nicht seine Leiche?

Die Handlung hat viele Facetten und der kriminalistische Strang steht nicht im Vordergrund, sondern es ist eher der Mikrokosmos der Hebriden, der einen fesselt. Das menschliche Schauspiel mit seinen ganzen Dramen vor grandioser schottischer Kulisse. Der Roman lebt von der düsteren, morastigen Landschaft, in der die Menschen ihren eigenwilligen Gebräuchen und Gesetzen folgen. Peter May erzählt sehr ausgiebig das Leben auf der Insel, als die Helden noch junge Leute waren, die sich im Aufbruch befanden und jetzt, in der Gegenwart, als gealterte Menschen zurückblicken und betrachten, was ihnen davon geblieben ist. May versteht es, die Handlungsstränge gut zu verknüpfen und passende Stimmung aufzubauen, die er bis zum Ende aufrechterhält. Ab der Hälfte des Buches wird das Tempo angezogen und man wundert sich, dass man nach dem Beenden des Textes keine Torfreste an den eigenen Schuhen vorfindet…

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