Yasmina Reza: „Babylon“

Yasmina Reza Babylon Hanser

Yasmina Reza versteht es erneut, die alltäglichen Nichtigkeiten groß werden zu lassen und somit das Dramatische fast schon komisch wirken zu lassen. Bei Reza sind es stets Dramen im Alltag, die die Gesellschaft anhand kleiner Gruppen widerspiegeln. Ihre Bücher zählen wohl auch schon zu Recht zu den gefragtesten aus und in Frankreich. Winzige Abgründe werden beleuchtet, reißen innerhalb des Textes auf und platzen meist in tragisch-komischer Weise. So auch in ihrem neuen Roman, der mit der Planung einer Party beginnt und dann bereits in der Vorbereitung ins Straucheln gerät. Nach dem Fest kommt sogar einer der weiblichen Gäste ums Leben.

Die Gestaltung des Umschlags und auch der Titel verraten bereits, was einem beim Lesen erwarten wird. Das Bild einer Frau, auf dem ein kleiner Bildausschnitt vom selben Porträt aufgelegt ist. Der kleinere Ausschnitt passt irgendwie, dann aber auch wieder nicht. So erscheint das Bild leicht versetzt, daneben, so als würde die Frau sogar schielen. Das tatsächliche Bild von uns passt nicht zu dem Erscheinungsbild, oder zu der Wahrnehmung über uns. Der Titel „Babylon“ bezieht sich auf die wichtigste Stadt des Altertums und dient als Metapher der babylonischen Sprachverwirrung.

Elisabeth wohnt in einem Mehrfamilienhaus und plant eine Frühlingsparty. Sie hat an alle eine Mail mit der Einladung versendet und ist, nach dem Versand, selbst erschrocken, dass es doch wohl zu viele Gäste werden könnten. Sie hat gar nicht genügend Sitzmöglichkeiten und Geschirr. Sie ist eine Ingenieurin, die beim Patentamt arbeitet und feiert eigentlich ungern. Sie möchte dennoch mit Bekannten und Freunden den Frühling feiern.  Sie will fröhlich in Erscheinung treten. Sie geht zu den Nachbarn, Jean-Lino und Lydie, um sich Stühle zu leihen. Bei der Organisation der Gläser geht es bei ihr und ihrem Mann noch hin und her, ob Plastikeinweg oder ob es doch etwas edleres sein soll. Hier beginnt bereits die zu steigernde Dissonanz im Roman.

Es ist der 21. März und die Frühlingsparty beginnt. Der Frühlingsanfang zeigt sich nicht, denn es beginnt zu schneien. Hierbei teilt sich das Lager der Gäste, die Frauen meinen der Schnee würde liegen bleiben, während die Herren es besser zu wissen meinen. Elisabeth, die mit circa 40 Gästen gerechnet hatte, empfängt lediglich unter der Hälfte und eine Partystimmung mag nicht aufkommen. Alles stockt und eine leichte Plauderton-Atmosphäre versiegt, sobald diese überhaupt aufgekommen zu sein scheint. Die Nachbarn Jean-Lino und Lydie lassen die Stimmung gänzlich kippen, als eine Diskussion über Hühnerhaltung und Biofleisch beginnt. Jean-Lino macht sich lustig über Lydie und ahmt sogar ein flatterndes Huhn nach. Die Gesellschaft löst sich auf und Elisabeth und ihr Mann entscheiden sich, nach der Party nicht aufzuräumen sondern ins Bett zu gehen. Dann klingelt es an der Tür und Jean-Lino steht davor und bittet um Hilfe, denn er habe gerade Lydie erwürgt. Wie es zu dem Mord kam liest sich tragisch-komisch und es spielt dabei ein nierenkranker Kater eine Rolle. Jean-Lino bittet Elisabeth, zusammen mit ihm die Leiche aus dem Haus verschwinden zu lassen.

Yasmina Reza hat das Gespür für das Kleine, das eigentlich Nichtige, das unser Leben anders erscheinen lassen kann. In den Romanen von Reza stehen nie die großen Weltprobleme im Mittelpunkt, sondern jene, die auf kleiner Bühne erscheinen: In der Beziehung, in der eigenen Wohnung oder auf einer geselligen Party. Wir tauchen ein in eine Gesellschaft, die sich hübsch macht – also den Naturzustand in Frage stellt und übertüncht.

Es geht um Behaglichkeit, d.h. Wohnlichkeit. Um Heimat und Exil. Gleich dem babylonischen Bild, sprechen alle ihre Sprache und reden aneinander vorbei. Der Mensch empfindet sich in seiner Wohnung heimatlos und einsam in der feiernden Partyrunde. Es kommt auf den Blickwinkel und den Lichteinfall an, die das bekannte Umfeld bedrohlich wirken lassen können. In winzigen Gesten spielt Reza mit unseren menschlichen Disharmonien.  Sei es am Beispiel der Pflegerin der kürzlich verstorbenen Mutter von Elisabeth, die das geschenkte Deckchen nachlässig und gedankenlos einsteckt. Aus den kleinen Gesten werden große Bilder, die in den kleinen Kammerspielen, die Rezas Bücher stets sind, uns Lesern das gegenwärtige Leben in unserem Umfeld verdeutlichen können.

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