Maren Wurster: „Das Fell“

Maren Wurster Das Fell Hanser Berlin

Eine Reise in die Seelenlandschaft einer Verletzten, die sich ihre Liebe zurückerobern möchte. Ihre Reise lässt sie immer animalischer werden und ihre Verwandlung ist dezent mit Han Kang (Die Vegetarierin) zu vergleichen. Es ist eine Frau, Vic, die sich auf die gemeinsame Reise mit ihrem Freund gefreut hatte, der ihr dann aber doch einen Korb gibt und mit seiner Exfrau an die Ostsee verreist. Diese Nachricht löst in Vic anfängliche Trauer, dann Wut aus. Sie verwandelt sich und reist Karl mit einem Stein im Gepäck hinterher. Sie legt sich im wahrsten Sinne ein dickeres Fell zu.

Vic arbeitet im Kommunikationsmuseum und lernt Karl kennen, der als freier Architekt tätig war und aus seiner früheren Beziehung eine fünf Jahre alte Tochter hat. Sie hatten einen Ausflug geplant, alle drei: Vic, Karl und seine Tochter. Karl, der seinen Freiraum benötigt und sich ab und zu von Vic bedrängt fühlt, reist nun einfach mit seiner Tochter und der leiblichen Mutter an die Ostsee und reagiert nicht, d.h. kaum auf Vics Nachrichten. Dies löst in Vic eine große Trauer aus und sie erträgt sein Handeln und sein Schweigen nicht. Sie nimmt ihr Fahrrad und radelt ihm hinterher. Diese Reise verwandelt Vic. Sie benutzt einen Schaber für die Reinigung der Zunge, sie entwickelt einen großen Geruchs- und Geschmacksinn und futtert auf ihrer Radreise auch mal eine Ameise. In der Vergangenheit ist sie bereits durch einige Macken auffällig, sei es der eigene Kinderwunsch, den sie durch ein umgestülptes Kondom von Karl befriedigen möchte oder ihre Art zu rauchen. Durch die Radtour, die mehrere Tage verläuft, werden diese Verhaltensweisen gesteigert und ihr wächst auf dem Rücken ein Fell. Sie sucht die Nähe zu der Natur und wandelt in dieser immer sicherer. Nur durch den ungewöhnlichen und zügigen Haarwuchs beginnt auch ihre Scham, sich den Menschen zu zeigen. Dies vermindert oft ihren Schwimmspaß in den Gewässern, die an der Strecke ihrer Tour liegen. Ihre Reise verläuft vorbei an Kanälen, Seen und stets durch Wälder. Diese Natur ist die Metapher ihrer Seelenlandschaft, die sich immer mehr einer Tier-Mensch-Verwandlung annähert.

Die Bilder sind groß und stehen der knappen Sprache gegenüber. Es ist das Gefühl, das hier auf den Verstand stößt und so ist man als Leser hin und hergerissen, ob man mag, was man da liest. Ist es Triviales, das sich allein durch das Bild des „sich ein dickes Fell anschaffen“ zeigt? Aber es ist doch viel mehr im Buch zu entdecken und man liest gebannt weiter. Denn auch die Handlung nimmt Spannung auf, da Vic stets oben auf ihrem Rucksack einen Stein mit sich führt. Der Stein als Schmuck, als Kraftelement, als Wurfgeschoss oder sogar als Mordwerkzeug für ihre Rache?

Sie ist mit ihrer Metamorphose nicht allein, denn ihr begegnet auf der Reise ein weiterer Mensch, ein Mann, der ihr mit zwei Hörnern auf dem Haupt als Pan, als Hirtengott begegnet. Die Naturmetaphern nehmen auf der Reise zu und stehen der anfänglichen Kommunikation mit heute üblichen technischen Geräten gegenüber. Das Technodröhnen der Clubs und Discos weicht den Geräuschen der Natur, in die Vic hineinwächst. Hier muss sich das Buch erneut einem Vergleich unterziehen. Es weckt Erinnerungen an die schwedische Fernsehserie: „Jordskott“.

Die Sprache ist den Situationen angepasst. Mal in gesteigerter Wut kurz und knapp, dann aber auch beschreibend, wenn es um die Natur geht. Die Dialoge und SMS-Nachrichten lesen sich gleich einer Mitschrift auf sozialen Netzwerken. Die Autorin studierte Film-, Theater- und Fernsehwissenschaften und hat in ihrem Debutroman einiges angedacht und umgesetzt. Als Leser wandelt man ab und zu zwischen Trivialität und Philosophischem. Zwischen modernem Stadt- und Naturleben. Ein modernes Märchen als sinnliche Erfahrung, die uns ein dickeres Fell wachsen lässt, das abwehrt, sich aber auch nach Liebe und Streicheleinheit sehnt.

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4 Kommentare

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4 Antworten zu “Maren Wurster: „Das Fell“

  1. Ich habe dieses Buch erst einmal zur Seite gelegt. Ich bin nicht so recht in die Geschichte hineingekommen, da, wie ich finde, die Zeitensprünge manchmal recht schwierig nachvollziehbar sind. Ich werde allerdings dem Buch eine zweite Chance geben, weil ich glaube, der Roman hat es vollauf verdient. Deine Meinung und das Urteil im Büchermagazin können nicht falsch sein. Zumal ich dann bei einem zweiten Anlauf merke, wie interessant das Buch für mich ist. Viele Grüße

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