Mareike Krügel: „Sieh mich an“

Sieh mich an Mereike Krügel Piper

Der Roman spielt an einem Tag, an einem Freitag in Kiel, Projensdorf. Es scheint das ganz alltägliche Familienchaos zu sein. Doch das wirkt nur so. Das Thema des Buches dreht sich um die Frage, was passiert, wenn innerhalb der Familie eine wichtige Bezugsperson ausfällt beziehungsweise fürchtet, bald sterben zu müssen. Was soll man tun, wenn man plötzlich etwas in der Brust ertastet, während die Tochter durch ihre Verhaltensauffälligkeiten von der Schule verwiesen werden könnte und der Ehemann nur an den Wochenenden anwesend ist? „Man kann doch nicht einfach so sterben, wenn die Dinge noch ungeklärt sind.“

Mareike Krügel hat aber keinen typischen Familienroman oder ein Krebsbuch geschrieben. Brustkrebs selbst wird niemals erwähnt oder direkt ausgesprochen. Es ist ein temporeiches Buch voll alltäglichem Wahnsinn, Humor und emotionalen Herausforderungen sowie Erschütterung. Ein herzlicher und witziger Roman, der schnell an Fahrt aufnimmt. Die Handlung ist nur dezent überspitzt und nur am Ende ganz leicht überdreht. Dies soll aber keine Kritik sein, denn für mich war alles im und am Buch stimmig.

Mareike Krügel ist leider vielen Lesern noch nicht so bekannt. Dabei ist „Sieh mich an“ ihr vierter Roman und sie hat für ihre vorherigen Werke bereits einige literarische Auszeichnungen erhalten. Sie wurde 1977 in Kiel geboren und lebt nun mit ihrem Mann, dem Schriftseller Jan Christophersen, an der Schlei. Beide haben bisher viele wunderbare Bücher geschrieben. Lange ist es her, aber ich möchte es nicht unerwähnt lassen, dass Mareike Krügel mal ein Buchhandelspraktikum in unserer Buchhandlung, der Buchhandlung Almut Schmidt, gemacht hatte.

Gleich der erste Satz nimmt einen gefangen. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin, Katharina, konfrontiert uns sofort mit ihren Ängsten. Die Angst vor dem Tod und dem Öffnen der Schultür. Schultüren wirken auf sie wie Pforten zur Hölle und dennoch würde sie für ihre Familie durch alle Höllenfeuer gehen, wenn es sein müsste. Ihre Kinder, Alex und Helli, stehen für sie im Mittelpunkt. An dem Tag der Handlung ist es erneut ihre Tochter, die vorzeitig von der Schule abgeholt werden soll. Später erfahren wir, dass die elf Jahre alte Helli leicht verhaltensauffällig ist und wohl an ADHS leidet und somit viel Raum und Zeit in Katharinas Leben einnimmt. Katharina hat neben dem Haushalt und ihrer Mutterrolle noch einen Teilzeitjob und gibt Musikkurse. Sie ist Musikwissenschaftlerin, deren Doktorarbeit seit Jahren auf ihre Vollendung wartet. Sie kommt nicht dazu, diese fertig abzugeben, da sie den ganzen Alltag und den Haushalt alleine managt, da ihr Mann, Costas, werktags in Berlin arbeitet.

Katharina lässt also alles stehen und liegen, um Helli von der Schule abzuholen, das diese sehr starkes Nasenbluten hat. Doch ihre Gedanken kreisen ständig um ihre Entdeckung. Sie ist Anfang 40 und hat in ihrer Brust etwas erfühlt. Es sitzt in ihrer linken Brust und bleibt unverändert, aber schmerzt nicht. Sie befürchtet das Schlimmste, macht sich wenig Hoffnung, da auch ihre Mutter an Krebs verstorben war. Ab sofort ist die Angst ihr beständiger Begleiter, den sie aber sehr gekonnt verdrängt und aus ihrer Wahrnehmung verbannt. Sei es nun durch ihre Tochter, die erneut ihre ganze Aufmerksamkeit benötigt oder der kleinen Panne, da sie beim Fahren ihre Lieblings CD von Schubert hört und sie leider die Angewohnheit hat, bei den schönsten Passagen die Augen zu schließen. Es passiert aber an diesem Freitag an der Ostsee noch so einiges mehr: Einer ihrer Nachbarn hat sich bei der Gartenarbeit den Daumen abgeschnitten und dann hat sich noch ein geliebter Studienfreund zu Besuch angemeldet. Dem Chaos in ihrer Umgebung und in ihrem Kopf versucht Katharina mit ihren kleinen Listen Herr zu werden, die ihr Geheimnis sind, gleich dem kleinen Etwas in ihrer Brust, zu dem ihre Gedanken stets wandern, sie es aber nie wirklich in Augenschein nimmt.

Ein warmherziges Buch, das den Leser zügig in Beschlag nimmt und sofort Bilder in der eigenen Phantasie wachsen lässt. Es behandelt viele Lebensfragen und ist lebensklug, sehr hingebungsvoll und mit sehr viel Humor geschrieben.

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Siehe auch die Besprechung auf Papiergefluester

 

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