Milena Michiko Flašar: „Herr Kato spielt Familie“

Flasar Herr Kato spielt Familie Wagenbach

Das lange Warten hat sich gelohnt. Milena Michiko Flašar bedankt sich ebenfalls am Ende des Buches bei allen, die geduldig auf einen neuen Roman von ihr gewartet haben. Sie hat die Zeit gut genutzt. Ihr vorheriges Werk „Ich nannte ihn Krawatte“ gehört zu einem meiner beständigen Lieblingsbücher. Nun hat sie ein weiteres geschrieben. Ein Buch, das erneut ein sehr nachdenklicher und emotionaler Text ist. Es geht um die Lebensträume, die Glücksmomente im Leben und innerhalb der Familie. Wir buhlen ständig um Anerkennung, Geborgenheit und um ein Gefühl von Zugehörigkeit. Diese Selbstbestätigung suchen wir in unseren Hobbys, im Freundeskreis, im Kollegium und besonders in der Familie. Doch wenn das Bild, das wir von uns projizieren nicht mit dem tatsächlichen übereinstimmt, keimen unerwartete Missverständnisse. Die unausgesprochenen Erwartungen an den anderen Menschen bleiben daher oft unerhört und verklingen. Wäre es eine Bereicherung, wenn es eine Agentur gäbe, die uns Menschen bzw. Schauspieler vermittelt, die uns kurzweilig eine passendere Familie oder Freunde vorspielt? Der Protagonist, Herr Katō, nimmt, als er im Ruhestand mit seiner Zeit nichts anzufangen weiß, das Angebot an, für die Agentur „Happy family“ als ein „Stand in“ tätig zu werden.

Als Herr Katō in Rente geht, hadert er mit seiner Zeit. Seine Tage dehnen sich und er weiß mit sich nichts anzufangen. Er überlegt, ob ein kleiner, weißer Spitz ihm ein guter Weggefährte sein könnte. Aber ein Weggefährte wohin? Seine Ehe hat an tiefer und wahrer Zuneigung verloren. Dies liegt wohl auch besonders an Herrn Katō selbst. Seine Ehefrau muss den Haushalt machen und sucht ebenfalls ihr Glücksgefühl außerhalb der eigenen vier Wände. Sie belegt einen Tanzkurs, der sie erneut zu beleben scheint. Als er sich altersbedingt vom Arzt untersuchen lässt, hat er die Hoffnung krank zu sein, damit er durch die Krankheit eine Beschäftigung, einen geregelten Alltag und Fürsorge seiner Frau erlebt. Er geht gerne spazieren und als er auf dem Friedhof ein Tänzchen wagt, beobachtet ihn eine Frau, die von seiner Darbietung begeistert ist und ihn für ihre Agentur gewinnen möchte. Die Agentur möchte Menschen dabei helfen, sich zugehörig zu fühlen. Er nimmt nach einigem Hin und Her letztendlich an und mimt nun für drei folgende Aufträge den Großvater, den Ehemann und den Vorgesetzten. Er taucht immer in eine sehr gefühlvolle Lebensphase der Auftraggeber ein und gibt emotional viel von sich in der jeweiligen Rolle preis. Er trifft auf fremde Menschen und Schicksale und mimt seine Rollen ausgezeichnet. Jeder Auftrag hat auch letztendlich immer etwas mit ihm, Herrn Katō, selbst zu tun. Spielt er die Charaktere letztendlich doch für sich selbst, um in seiner eigenen Familie seine tatsächliche Rolle wiederzufinden?

Das Buch ist gleich „Ich nannte ihn Krawatte“ ein kurzweiliges Buch. Ein Text, der sich zügig lesen lässt, aber sich im Kopf und Herz gewaltig entfaltet. Schnell fühlt man sich in der Geschichte wohl und folgt gern und aufgeregt den Abenteuern des Herrn Katō. Im Gegensatz zu Flašars vorherigem Werk sind es keine kurzen und knappen Kapitel, sondern lediglich drei längere Abschnitte und der Abschluss: „Nachher“. Wiedermals tauchen Sätze auf, die ins Leere gehen, gleich den Gedankengängen der Protagonisten, die wohl erst noch ihr Ziel definieren und finden müssen.

Ein großartiges, wunderbares Buch, das einen zum Nachdenken und Nachfühlen einlädt. Es schafft Raum für eigene Erinnerungen, Hoffnungen und Glücksmomente

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2 Kommentare

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2 Antworten zu “Milena Michiko Flašar: „Herr Kato spielt Familie“

  1. Lieber Hauke,
    danke für den Tipp, ich wusste gar nicht, dass es ein neues Buch der Autorin gibt. „Ich nannte ihn Krawatte“ fand ich ganz toll und werde dieses mal auf meine Checkliste setzen. 🙂
    Liebe Grüße, Heike

  2. Pingback: #Indiebookday 2018 – Neuer Lesestoff und eine Challenge | super.lese.helden

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