Lennardt Loß: „Und andere Formen menschlichen Versagens“

Lennardt Loß Und andere Formen menschlichen Versagens weissbooks

Wie bei einem Kraken schlängeln sich die Arme um die eigentliche Handlung und haben, gleich dem Oktopus pro Arm ein eigenständiges Hirn, d.h. eine fast für sich stehende Geschichte. Ein Flugzeugabsturz im April 1992 über dem Südpazifik steht im Mittelpunkt. Unter den Passagieren ist Marina Palm, die als einzige Überlebende eine unbewohnte Insel erreicht. Doch ist dies nicht ihre Geschichte, wobei eigentlich sind alles ihre Geschichten, denn die einzelnen Kapitel erzählen von jenen Menschen, die ihren Lebensweg kreuzen oder beeinflussen.

Der Roman lebt von der Fülle an Details und der Phantasie des Autors, die seine Figuren zum Leben erweckt. Alle Charaktere schaffen es, eine Neugier auf deren Leben und auf den Verbleib der Marina Palm zu wecken. Jedes Kapitel für sich ist voller Drama, grotesker Strukturen und Details. Der Autor spart nicht an Ironie und Witz und erzählt keine übliche Überlebens-, d.h. Rettungsgeschichte.

Es beginnt mit einem ehemaligen RAF-Terroristen, der Marina Palm während des Fluges nach Argentinien kennenlernt. Die zweiundzwanzigjährige hat sich auf den Weg gemacht, ihren Vater zu besuchen. Der Ex-Terrorist will sich in Buenos Aires eine noch aus alten Zeiten in ihm steckende Kugel entfernen lassen, die lebensbedrohlich in seinem Körper wandert. Als die Maschine über dem Pazifik abstürzt beginnt ein Ringen ums Überleben. An den Flugsitz 9A gebunden versuchen sie beide, sich ans Leben zu klammern, doch wird es nur Marina letztendlich auf jene Insel schaffen.

Die Familie Palm hat in der Folge ihres Lebens mit dem Schicksal zu kämpfen, dass ihre Tochter bei einem Flugunglück ums Leben gekommen ist. Marinas Vater ist mit Grundstücken und Immobilien zu Vermögen gekommen und wurde nach der Wende durch das Betreiben diverser Parkhäuser zum Parkhauspapst ernannt.  Auch in der Politik konnte er für sich kleine Erfolge erzielen. Seine Frau, die schon als Marina ein Kind war gerne Horrorfilme gesehen hat,  nimmt auch das Kleinkind mit in die verrauchten Kinos, um sich an diversen B-Movies und Splatterfilmen zu ergötzen. Später, als sie getrennt leben, will sie selbst einen blutigen Film drehen, in dem sie ihre Trauer um den Verlust ihrer Tochter verarbeiten möchte. Wie weit Marinas blutrünstige Mutter mit ihrem Film Erfolge oder eventuell einen Kult geschaffen hat, bleibt abzuwarten.

Ein Junge, der als Handmodel gefragt ist, aber sonst ein Nerd mit neurotischer Veranlagung ist und via Google Earth die Welt erlebt, ist der Erste, der mitbekommt, dass auf einer kleinen, unbewohnten Insel jemand gelebt zu haben scheint, oder sogar noch am Leben ist…  Doch vergisst er dies wieder, als er zu seinem Vater nach Kanada zieht.

Marina hatte einen Freund, der nun als Nachwuchsboxer gefeiert wird. Als er seinen ersten, richtigen Kampf hat beginnt er aus seinen Niederlagen Gewinne zu erwirtschaften und macht auch Marinas Geschichte zu Geld.

Ob Marina eine Robinson-Crusoe-Geschichte erlebt oder ob sie überlebt, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Mit einer Leichtigkeit, sogar Coolness wagt sich der Autor an seine Figuren und Geschichten heran, die aus ihm herauszusprudeln scheinen. Die Stärke des Buches liegt darin, wie die einzelnen Stränge miteinander verbunden sind.  Ein Roman als Puzzle mit einer Fülle an kleinen Details, Hinweisen und Humor.

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