Ewald Arenz: „Alte Sorten“

Ewald Arenz Alte Sorten DuMont

Ein wunderbarer Roman über Freundschaft und Akzeptanz. Ein Mädchen, mehr schon eine junge Frau, und eine Einzelgängerin, die alleine einen Hof bewirtschaftet und ohne viel zu fragen, das Mädchen eine kurze Zeit bei sich wohnen und ankommen lässt. Diese wenigen Wochen sind es, die beide Frauen sich erkennen und annehmen lassen. Für beide ist es eine Zeit der Heilung, die literarisch ohne jede Art von Kitsch und Verklärung beschrieben wird.

Der Roman ist und beschreibt einen Rückzug. Der Leser und die Protagonisten erfahren einen Rückzug und ein Bewusstwerden des Wesentlichen im Leben. Das Einfache, das Stille und das Notwendigste stehen beständig im Vordergrund. Das, was in der Landwirtschaft getan werden muss und das, was gesagt oder auch mal stillschweigend akzeptiert werden sollte. Die Natur als Verbindung ohne den versüßenden Realitätsverlust, den man hier und dort in der Literatur vorgesetzt bekommt. Die Figuren vermitteln durch ihr Schweigen, ihre Worte und Handeln treffsicher ihre Emotionen. Es wird mal laut geflucht, geschimpft oder man lässt in der Stille die angestaute Wut abfließen. Viel Einsamkeit, Trauer und Wut haben sich in den Charakteren eingenistet und erst gemeinsam lernen sie sich, davon zu lösen. Die Natur als Metapher, denn meist, wenn der Mensch aus seiner Sicht Ordnung in jene bringen möchte, entsteht Chaos. Sally, das Mädchen, will weg. Einfach nur weg, ohne ein genaues Ziel zu haben. Das Wegsein als Beweggrund. Sie ist voller Wut und auf der Flucht vor allem und jedem. Sie steht kurz vor dem Abitur und hasst das reglementierte Leben. Jede Art der Vorschrift ist ihr ein Graus. Sie ist aus einer Klinik abgehauen, denn sie ritzt sich und stellt laut der Prognose eine Gefahr für sich dar.

Auf ihrer Flucht trifft Sally auf einem Weinberg auf Liss. Liss ist eine stark wirkende Frau, die alle landwirtschaftlichen Aufgaben auf ihrem Hof ohne Probleme erledigt. Sie ist eine verschlossene Frau, die auch ihrer Bürden zu tragen hat. Doch macht sie dies stillschweigend. Als sie mit ihrem Trecker und dem Hänger im Graben festsitzt kommt gerade Sally vorbei. Liss, die geradeheraus Sally fragt, ob sie ihr mal kurz helfen könne, löst etwas in Sally aus, denn es ist lange her, dass Sally eine offene und ehrliche Frage gestellt bekommen hat. Liss lädt Sally ein, das sie für eine Nacht auf ihrem Hof übernachten könne. Aus dieser einen Nacht werden mehr. Sally bleibt für einige Wochen auf dem Hof. Für Sally ist Liss ganz anders als die Erwachsenen in ihrem bisherigen Umfeld. Sally wir ohne viele Fragen oder typische Vorurteile von Liss in das Hofleben integriert. Besonders die Arbeit mit der Erde, den Feldfrüchten und in der Streuobstwiese lassen Sally immer mehr sich bei sich selbst ankommen. Bei ihren kurzen Gesprächen öffnen sich die beiden Frauen langsam immer mehr. Die Gespräche beginnen meist bei der Arbeit bei den Bienen, auf den Feldern, im Wald oder beim Brotbacken. Doch spürt Sally, dass auch in Liss etwas ist, über das sie nicht reden will oder kann. Die meisten Nachbarn meiden Liss auch und das große Haus, das sie alleine bewohnt, zeigt Spuren von Menschen, die dort mit Liss gelebt haben müssen. Sally beginnt, sich langsam für Liss Geschichte zu interessieren, ohne eigentlich viel mehr von sich erzählen zu müssen. Sally ist auch stets sehr impulsiv und die Launen platzen förmlich aus ihr heraus. Zwischen den Frauen wächst eine stille Freundschaft. Doch beider Vergangenheiten beschwören eine Krise herauf und da Sally auch gegenwärtig gesucht wird, müssen sie sich jeweils den noch unausgesprochenen Verletzungen stellen.

Ein wunderbares Buch, das sich sprachlich dem inhaltlichen Fluss und den Emotionen der Charaktere anpasst. Man spürt fast körperlich stets die Trauer oder die Wut. Die Rhythmik und die Aussprache passen sich den Gegebenheiten an. Die Gefühle und Sinne des Lesers werden beim Lesen angeregt und man taucht ein in das Hofleben. Die beiden Frauen, Sally und Liss, stehen glasklar vor einem, so gut sind sie gezeichnet. Ein Roman, der hoffentlich nicht wie viele alte Obstsorten vom Markt verschwinden wird. Ein sehr lesenswerter Roman über das Entstehen und Zulassen von Nähe.

Siehe auch die Besprechung von Brigitte auf: feiner reiner Buchstoff

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3 Kommentare

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3 Antworten zu “Ewald Arenz: „Alte Sorten“

  1. Bri

    Super, danke für die Verlinkung – schön, dass es Dir ebenso gut gefallen hat, wie mir!! LG, Bri

  2. Sebastian

    Lange her, dass ich solch einen Kitsch gelesen habe. Rührseligkeiten und Plattitüden!

    Alles total möchtegern – die Charaktere sind flach, die Erzählperspektive scheint mir oft irgendwie bemüht… und leider steckt für meinen Geschmack definitiv zu viel Kalenderspruchweisheit in diesem Machwerk!

    Ich frage mich angesichts des rauschenden Stromes frenetisch begeisterter Rezensionen, ob eigentlich mit mir etwas falsch ist, dass ich den Roman als pure Zeitverschwendung erlebt habe?! – Habe schon ein wenig das Gefühl, ich muss mich für meine Meinung entschuldigen…

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