Shen Fu: „Aufzeichnungen aus einem flüchtigen Leben“

Shen Fu Aufzeichnungen aus einem flüchtigen Leben Matthes Seitz

Ein Buch, das uns einlädt in eine andere, vergangene Welt. Es ist eine Sprache und Handlung, die uns eintauchen lässt in ein früheres China und dennoch so modern erscheint. Shen Fu wurde 1763 in Changzhou geboren. Er war ein Beamter und Gelehrter. Als „Aufzeichnungen aus einem flüchtigen Leben“ (浮生六記) 1877 erstmals publiziert wurde, wurde diese ungewöhnliche Autobiografie sofort ein Erfolg und ist auch mehrfach aufgeführt oder verfilmt worden. Das Buch gehört bis zum heutigen Tag in Asien zum Klassiker und wird als Schullektüre eingesetzt. Jetzt ist es von dem Sinologen Richard von Schirach neu übersetzt und mit einem Vorwort und Kommentaren ergänzt worden.

Es ist die Geschichte des unbekümmerten und unkonventionellen Shen Fu. Seine Aufzeichnungen sind liebevoll und lassen den damaligen Alltag, die Kultur und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten aufleben. Shen Fu begnügt sich mit dem aus seiner Sicht einfachen Leben. Beruflich hat er keine großen Erfolge und den damaligen Traditionen geschuldet, steht er unter dem Einfluss seines Elternhauses, sprich seines Vaters. Er verliebt sich in seine Cousine Chen Yun, die er auch bald darauf heiratet. Chen Yun will ihm eine gute Ehefrau sein und die Traditionen wahren. Die beiden verstehen sich auch immer besser und lieben die Kunst, besonders die Literatur und das Theater. Da Frauen in der damaligen Zeit der Ausgang nicht so frei gestattet war, begleitet Chen Yun ihren Ehemann ab und zu als Mann verkleidet. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und etwas mehr Freiheit keimt in beiden. Der Roman lebt von den Schilderungen der alltäglichen Zuwendungen, zueinander, zu der Literatur, der Philosophie und der Natur, besonders auch den Pflanzen- und Blumenarrangements. Doch lebt das Ehepaar nicht in einer gehobenen Lebens-, d.h. Gesellschaftsschicht. Sie versuchen sich stets mit dem, wie es gerade ist, zu arrangieren. Hier wird immer wieder der Daoismus verdeutlicht und ausgelebt.

Damals war es üblich, dass junge Töchter als Konkubinen verkauft wurden. Shen und Chen verstehen sich ausgezeichnet und haben später auch zwei Kinder. Trotz der materiellen Engpässe organisiert Chen ihrem Ehemann aus Statusgründen eine Konkubine, zu der sie sich aber selbst sehr hingezogen fühlt. Dies wird der entscheidende Wendepunkt. Die Konkubine wird später anderweitig aufgenommen, dennoch sind die Schwiegereltern über die Gefühlswelt von Chen, die von Shen Fu selbst toleriert wurde, entsetzt. Es kommt zu weiteren Situationen, die den Graben zwischen der Elterngeneration und dem Ehepaar erweitert. Ein Missverständnis um geliehenes Geld verursacht dann sogar den totalen Riss.

Das ganze Buch ist niemals anklagend oder wehmütig. Es liest sich frisch und in gewisser Weise modern. Dennoch ist es ein Bericht über das Leben zu Zeiten der chinesischen Qing-Dynastie. Es ist der Werdegang eines Verlierers, der ganz ehrlich über sich und sein Umfeld zu berichten weiß. Abgerundet mit dem Kommentar von Richard von Schirach wird das Buch ein Leseereignis. Weltliteratur aus China, die hochinteressant, humorvoll, tiefgründig und schön zu lesen ist.

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