Yasmina Reza: „Anne-Marie die Schönheit“

Yasmina Reza Anne-Marie Schönheit Hanser

Das Theater sagt man, seien die Bretter, die die Welt bedeuten. Doch was ist, wenn das Saallicht angeht und die Bühne der Kulissen und Requisiten beraubt ist? Was passiert mit dem Leben, das soeben auf der Bühne erblühte? Was mit den Figuren, den Charakteren und jenen Menschen, die sie verkörperten? Wirkten sie nicht eben noch viel größer oder etwa kleiner?

Eine Schauspielerin ist es, die erzählt. Sie plappert los. Wem erzählt sie es? Uns, dem zuhörenden Leser, der sich wie in einem Theater fühlt. Es wirkt wie das Stück „Heute Weder Hamlet“ von Rainer Lewandowski und ist dann doch ein typisches Spiel von Yasmina Reza.

Reza versteht es erneut, die alltäglichen Nichtigkeiten groß werden zu lassen und somit das Dramatische fast schon komisch wirken zu lassen. Yasmina Reza begann ihre künstlerische Laufbahn als Schauspielerin, wurde aber als Autorin von Theaterstücken, Romanen und Drehbüchern bekannt. Das bekannteste Stück ist wohl „Der Gott des Gemetzels“, das auch großartig verfilmt wurde. Stets sind es die Kleinigkeiten die Reza ins Lampenlicht bringt und dadurch verzerrt.

Anne-Marie ist es, die uns eine, d.h. ihre Geschichte erzählt. „Auf der Bühne war ich manchmal Anne-Marie die Schönheit“. Jetzt ist sie die alte, kranke Frau, die durch den Tod von Giselle ihren Erinnerungen folgt und diese gleich wie Koffer auspackt und uns, dem lesenden Publikum, erzählt. Sie kommt aus der Provinz und wollte zum Leidwesen und sogar zur Belustigung der Eltern Schauspielerin werden. Doch sie schafft es irgendwie und ergatterte Rollen in einem Pariser Vorstadttheater. Es sind immer die Schauspieler jener Zeiten, die sie im Geiste aufzählt. Wie Erinnerungsfetzen flaniert diese Theatergruppe durch ihren Kopf. Den engsten Bezug hatte sie zu Giselle, genannt Gigi. Gigi bekommt die großen Rollen. Sie lebt das Leben der Künstlerin und macht die Karriere, die Anne-Marie verwehrt blieb. Gigi bekommt viele Männer und Anne-Marie einen Vertreter für Lederwaren. Einen einfachen Mann und später einen Sohn, den sie als „Mistfink“ bezeichnet. Neid, Trauer und Resignation sprühen durch ihre witzigen Formulierungen.

Reza ist eine Meisterin, wenn es um bitteren und doch sehr humorvollen Text geht. Ein komischer anrührender Monolog. Kluge Beobachtungen und ins Offene gehende Formulierungen, die dann doch treffsicher enden. Das Theater als eine Gegenwelt des einfachen Alltags, den auch die Menschen, die auf den Brettern der Welt standen, erleben. Ersehnter Glamour der Künstlerwelt trifft auf Kleinbürgerliches.

Ein Text, der durch das Spiel mit Erinnerung als lesbare Bühnenfassung eines Monologes Spaß macht. Reza macht aus kleinen Gesten große Bilder und ist eine immer wieder sehr lesenswerte Autorin. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.

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