Xaver Bayer: „Geschichten mit Marianne“

Das Buch hat den Österreichischen Buchpreis 2020 gewonnen und ist eine Spiegelung und Verrückung der Gegenwart. Alles beginnt alltäglich oder vertraut bis sich das Grauen einstellt. Es ist stets eine vertraute Zweisamkeit, in der Belangloses erledigt, ein Ausflug gemacht, der Nervenkitzel oder ein Abenteuer gesucht wird. Immer kommt es zu einer gruseligen Wendung. Es sind 20 Geschichten, die trotz der Vorgeschichten stets bei null anfangen, als würde eine Reset-Taste gedrückt.

Vergleichbar wäre „Geschichten mit Marianne“ mit Michael Endes „Spiegel im Spiegel“, in dem sich auch ein Labyrinth aus surrealen Erzählungen aufbaut. „Geschichten mit Marianne“ ist eine Parabel, die am Ende einen Bogen zu allem Vorangegangenen schlägt. Am Ende schließt sich der Reigen und der Erzähler, der mit Marianne diverse Horrorgeschichten erleben musste, steht erneut am Anfang aller Erlebnisse, um sich dann zu fragen, ob alles Traum oder wahrer Wahn war.

Ein anderer Vergleich drängt sich ebenfalls dezent auf. Der König der Horror- und Gruselliteratur, Stephen King, beginnt auch gerne mit alltäglichen Situationen, um die Protagonisten dann in den Horror stürzen zu lassen. Die Geschichten von Xaver Bayer lassen die Figuren und mit ihnen den Leser taumeln. Das Grauen entsteht meist durch einem Mitgerissen werden und den Verlust der Souveränität. Der Wendepunkt entsteht eventuell aus einem Test, als Spiel oder auch durch den bizarren Einfluss des Umfeldes. Mal macht man sich auf, um bei einem Fest mitzumachen, das gänzlich aus dem Ruder läuft, um dann letztendlich bierlaunig mit blutigen Händen ein Ende zu finden. Auf der Suche nach Einweckgläsern muss der Erzähler im Keller im Schlamm tauchen oder wird sogar bei einem Floatingbad in einen Mikrokosmos gespült. Auch seiner Begleitung, Marianne, die stets dabei ist, geschieht Dubioses. Sie verschwindet nach einem diabolischen Zirkusbesuch oder wird erschossen, nachdem sie ein großartiges Menü zubereitet hat und beide in romantischer Stimmung den Terror vor ihrem Wohnhaus beobachten, um dann selbst zur Waffe zu greifen. Auf der Suche nach dem Buch „Das Schloss“ von Kafka gerät der Erzähler von Marianne gelenkt in ein ominöses Gebäude auf hoher See. Dies sind nur einige Beispiele der Geschichten.

Ein moderner, grotesker und berauschender Roman. Man erliegt jeder einzelnen Geschichte und will immer mehr von dem Erzähler und Marianne hören. Kontrollverlust, die Ängste und das Ungeheuerliche werden literarisch beleuchtet und in Häppchen serviert. Xaver Bayer versteht es, den Bogen nie gänzlich zu überspannen. Mit guter Sprache, Stimmung und Ironie wird man an den Text gefesselt und erblickt das persönliche Umfeld neu. Ein verrücktes, unglaublich tolles und gruseliges Buch. 

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