Elizabeth Taylor: „Mrs Palfrey im Claremont“

Wir wünschen uns alle einen guten Lebensabend. Doch gestaltet sich dieser leider selten in den eigenen Räumlichkeiten. So hat Elizabeth Taylor eine verwitwete Heldin ins Leben geschrieben, die in ein Hotel zieht, um dort den Rest ihres Lebens zu verbringen. Ein Heim kommt aus mehreren Gründen nicht in Frage. Das Leben im Claremont ist bestimmt durch die tägliche Routine, Klatsch und Tratsch und das Warten auf Abwechslung. Ein Warten auf das Ableben wird belebt durch Zeitvertreib. Zeitvertreib ist bei uns Menschen eine merkwürdige Eigenschaft. Als wäre man der Zeit überdrüssig und wolle diese vertreiben und sich durch Ablenkung versüßen. Elizabeth Taylor hat hier einen wunderbaren Roman verfasst, der anregt, erheitert und einfach große Literatur ist. Das Buch, das jetzt in der Übersetzung von Bettina Abarbanell vorliegt, zählt zu den besten englischen Werken, war für den Booker Prize nominiert und wurde verfilmt.

Es beginnt an einem regnerischen Sonntag, als Mrs Palfrey im Claremont einzieht. Es ist ein Hotel, das nicht gerade den Luxus verströmt, aber dennoch einen gewissen britischen Charme ausstrahlt. Übliche Hotelgäste tauchen nur begrenzt und kurzweilig auf. Die beständigen Mitbewohner haben sich gleich Mrs Palfrey in das Claremont eingemietet, um dort den Lebensabend zu verbringen. Der tägliche Höhepunkt ist das Essen. Dabei ist die Bestellung à la carte eher ein Witz, denn es gibt meist eine sehr begrenzte Auswahl an Gerichten, die stets im Haus als Information aushängen. Das Haus hat sich somit leicht widerwillig an die Stammgäste angepasst. Die älteren Menschen sind allesamt exzentrisch, eigenwillig und sehr, sehr neugierig. Der Tag wird belebt durch gegenseitiges Beobachten und das Sammeln von Informationsschnipseln, die die Gespräche und die gegenseitigen Auffassungen beleben. Mrs Palfrey ist nun als neuer Gast im Zentrum der Wahrnehmung, die aber nicht öffentlich zur Schau getragen wird. Die Blicke wandern beim Essen, beim Stricken oder beim gemeinsamen Seriengucken zu dem Neuankömmling. Kontakte entstehen und besonders das soziale Umfeld der Anderen ist oft ein allgemeines Thema. Leider ist Mrs Palfrey sehr einsam. Ihre Verwandtschaft ist weit weg und der Enkel, der im Museum tätig ist, hat keine Beweggründe, ihr einen Besuch abzustatten. Dies wird bemitleidend wahrgenommen.

Jeder Alltag, der eine Aufgabe enthält, ist ein Gewinn und als Mrs Palfrey für eine Mitbewohnerin Bücher aus der nahegelegenen Bibliothek besorgen soll, verknackst sie sich ihren Fuß und ein junger Mann tritt helfend zur Seite und somit in Ihr Leben. Dies ist der mittelose Ludo, der von einem Leben als Schriftsteller träumt. Da sie sich bei ihm erkenntlich zeigen möchte, lädt sie ihn zu einem Essen ins Claremont ein und verneint ihren Mitbewohnern gegenüber nicht, als diese ihn für ihren Enkel halten, dass er dies nicht ist. Ludo ist ganz begierig, mehr über das geriatrische Leben zu erfahren und verwendet Mrs Palfrey als Vorbild für seinen Roman. Aber auch in dem sozialen Umfeld von Ludo gibt es Veränderungen.

Somit sind mehrere feine und kleine Spannungsbögen gesetzt und die Protagonisten entkommen ihrem Kleid aus Langeweile und Tristesse. Besonders die Charakterisierungen und die Beziehungen zueinander beschreibt Elizabeth Taylor großartig. Es ist ein lesenswerter, humorvoller, aber auch trauriger Roman, der gegen Ende sogar den Spannungsbogen verstärkt. Aber bereits mit den Anfangsszenen hat Elizabeth Taylor den Leser gefesselt und begeistert.

Das großartige Leseerlebnis wird abgerundet durch ein lesenswertes und wissenswertes Nachwort von Rainer Moritz.

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2 Kommentare

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2 Antworten zu “Elizabeth Taylor: „Mrs Palfrey im Claremont“

  1. Danke. Klingt sehr fein und für mich geeignet!
    Gruß von Sonja

  2. Danke, dass hier auf diese überaus lesenswerte Autorin hingewiesen wird. Sie ist ja schon 1975 gestorben und immer irgendwie ein Geheimtip geblieben. Immerhin Anne Tyler hat sie mit Jane Austen verglichen, und in der Tat, da gibt es Gemeinsamkeiten, die Konzentration auf Personen in ihrem Netz sozialer Bezüge, das erinnert ein bisschen auch an Muriel Spark. Antonia Fraser sagte, sie sei eine von den meist unterschätzten Autoren des 20. Jahrhunderts, aber in den Ehrentitel dürfen sich wohl viele teilen. Es ist nie ganz still um sie geworden, in Deutschland wird sie vermutlich mit der Schauspielerin verwechselt. Sie schreibt ein träumerisch-kühles Englisch, sehr gepflegt, auf breite Publikumswirksamkeit war das nie angelegt, und sie ist wohl auch als Person gern „zu Hause geblieben“, im Literaturbetrieb hat sie sich kaum blicken lassen. In der englischsprachigen Wikipedia wird erzählt, als ihr Witwer eine befreundete Autorin bat, eine Biographie zu schreiben, lehnte die ab mit dem Bedeuten, in ihrem Leben sei ja nichts passiert. Wie viele fein gestrickte Personen der englischen upper middle class lehnte sie politisch eher nach links, sie scheint sogar kurze Zeit Mitglied der KP gewesen zu sein, in ihren Romanen und Erzählungen (vier Bände!) merkt man nichts davon. Man liest Berichte wie von einem fernen Planeten, da zarte und sensible Personen auf das warten, was passieren wird, meistens ohne ihr Zutun. Wie gesagt, wer Muriel Spark gemocht hat, wird auch an dieser Autorin Gefallen finden. Vielleicht folgen dieser Übersetzung weitere.

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