Daniel Breuer: „Grand Mal“

Als „Grand mal“ bezeichnet man einen epileptischen Anfall, der in mehreren Phasen verläuft. So auch der Roman, der durch seinen Aufbau, die Figuren und die Handlung ebenfalls durch mehrere Ebenen verläuft. Wir erleben die Ursache, den Verlauf und am Ende kommt der Hauptcharakter erschöpft zu sich. Doch was ihm auf seinem Weg alles zustößt, lässt sich kaum inhaltlich in Gänze wiedergeben. Es ist ein poetischer, irrer, witziger und toller Leseritt, der stets tiefgründiges vermittelt und anspruchsvoll geschrieben ist.

Die Handlung, die in Chile angesiedelt ist, umspannt einen Zeitbogen, der in den 90er Jahren seinen Anfang nimmt und bis in die Gegenwart greift. Vordergründig sind es zwischenmenschliche Beziehungen und Freundschaften, die sich bilden oder mehr oder weniger notgedrungen verbinden. Diese Schicksale sind mit kulturellen Eigenheiten verbunden und das Werk zelebriert somit die Einigkeit einer globalen Weltsicht.

Daniel Breuer wurde 1977 in Teheran geboren, wuchs in Santiago de Chile, Istanbul und Brüssel auf und lebt in Berlin. Sein Werdegang vom Leser zum Schreiber ist geschmückt mit Diversität im Berufsleben. All dies spiegelt sich in seinem Text wieder.

„Nach 19 Jahren kommt Hugo Pfohlen doch noch mal zurück.“ So lautet der erste Satz nach den vorangegangen Zitaten. Dieser Satz mit dem kulturellen Cross-Over Namen eröffnet die folgende Reise. Der Hauptcharakter trägt einen Namen wie Tonio Kröger von Thomas Mann und ist somit bereits eine kleine Metapher. Er und seine drei mitreisenden, Nelly, Irene und Maria, fahren zu einem Haus, von dem er selbst erst vor einigen Wochen erfahren hat. Sein bisheriges Leben hat ihn hier hingetrieben und die drei Frauen mitanschwemmen lassen. Als er dort ankommt, weiß er bewusst oder unbewusst, dies ist der Ort seines Showdowns. Er sucht einen Ort, um seine existentiellen Sorgen endlich hinter sich zu lassen. Hier möchte er, in eigentlich unpassender Umgebung, ein Nagelstudio eröffnen. Die Frauen, die mit ihm in das Haus ziehen, wollen dort mit ihm arbeiten. Die eine kennt er schon länger. Als er noch vom Verkauf von selbstgebrautem Hustensaft lebte, entstand diese Beziehung, die in sich eine Art der Liebe verbirgt. Eine Frau ist der anderen einst über den Weg gelaufen und langsam wuchs die jetzige Gemeinschaft. Hinzu kommt noch ein iranischer Mediziner, der von Hugos Epilepsie weiß und stets hilfreich zur Seite steht. Also geht es immer um Freundschaft. Aber auch um den Aufbau des Studios, die jeweilige Vorgeschichte und den Weg bis hierher. Es sind die Wünsche und Sehnsüchte, die die Figuren antreiben. Doch sind sie Außenseiter, die bemüht sind, Normales in ihrem verrückten Alltag zu verankern. Dies mit Hilfe eines Goldfisches und der Einrichtung des Hauses und ihres neuen Lebensumfeldes. Auch erleben sie leicht Morbides oder fordern dies sogar heraus. Als Beispiel sei der Besuch von Hahnenkämpfen erwähnt. Auch durch die Wahl der Lage ihres Nagelstudios macht die Gruppe sich nicht überall beliebt.  

Es ist somit ein Roman voller Lebensentwürfe, die fern des Gewöhnlichen verlaufen. Es sind die Versprechungen, die das Leben macht, die unsere Helden letztendlich scheitern oder wachsen lassen. Der äußerliche Widerstand geht oft einher mit den inneren Barrikaden und es ist im Leben häufig wichtig, diese abzuschütteln.

Ein aberwitziger, kluger und ungewöhnlicher Lesespaß. Das Schöne ist im Unvollkommenen (gilt auch andersherum) verborgen und gilt entdeckt zu werden.

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