Jakob Guanzon: „Überfluss“

Zuweilen wird in der Kunst, besonders in der Literatur, Leid und Armut romantisiert. Armut hat in der Darstellung oft etwas Edles und Erhabenes. Dieses Bild zersprengt Jakob Guanzon mit seinem Roman „Überfluss“. Der studierte Soziologe lebt in New York und sein Debütroman ist nominiert für den National Book Award for Fiction und für den Aspen Words Literary Prize. Übersetzt wurde das Werk aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Falk. Ein schonungsloser Blick auf den Mangel, der zeigt, dass Armut nicht ein Erzeugnis von mangelnder Bildung sein muss. „Überfluss“ spielt in einem gesellschaftlichen Niemandsland oder Niemalsland, das aus Parkplätzen, Straßenrändern, Einkaufszentren und Trailer-Parks besteht.

Es ist die dramatische Geschichte von Henry, die voller Wut und Wahrhaftigkeit geprägt ist. Henrys Eltern sind Akademiker. Doch hatten sie es schwer im Leben und Henrys Vater betätigte sich stets handwerklich und übertrug sein Geschick und Können auf seinen Sohn. Die Eltern wünschten sich eine bessere Zukunft für Henry. Später, als Henry selbst Vater ist, kämpft er ebenfalls für ein besseres Leben. Sie haben ihr Zuhause verloren, wurden aus ihrem Trailer vertrieben und leben seitdem in Henrys Pick-up. Der Roman erzählt die Geschichte von Henry und seinem Sohn, wie sie den Tag und die Nacht zu überleben versuchen. In Rückblicken wird Henrys Geschichte erzählt. Von der Zwangsräumung, der Suche nach Arbeit und Liebe und dem Tod seiner Eltern. Die Geldsumme, die Henry noch verbleibt, ist namensgebend für die jeweiligen Kapitel.

Henry hat sich nie gescheut, zu arbeiten. Auch neben der Schule hat er bereits zum täglichen Bedarf der Familie beigetragen. Er hat sich viel abverlangt und wollte gegenüber seinem Vater niemals als verweichlicht dastehen. Als er seinem Vater den Hauptteil seines Lohns abgibt, wird er später mit einem eigenen Pick-up belohnt, den ihm sein Vater schenkt. Mit diesem möchte er seine große Liebe beindrucken. Im angetrunkenen Zustand erlebt Henry seine erste Liebesnacht im Autokino. Dieses Erlebnis wird ihn später zum stolzen Vater machen. Seinen Sohn nennt er stets Junior. Die Liebesgeschichte und den Weg in die Armut erleben wir in berührenden Rückblicken. Der enorme Spannungsbogen wird durch die Haupthandlung des Romans erzeugt. Junior hat Geburtstag und Henry möchte ihm etwas Besonderes zum Ehrentag bieten. Neben einer Wrestling-Action-Figur als Geschenk gehen sie bei McDonald´s essen und wollen eine Nacht in einem Motel verbringen. Nach langer Zeit mal wieder baden können und in einem richtigen Bett schlafen. Henry macht sich Hoffnungen, denn am kommenden Tag hat er ein Vorstellungsgespräch. Im Zimmer möchte er dafür üben und seinen Anzug bügeln. Hierfür borgt er sich ein Bügeleisen bei der geschäftstüchtigen Dame an der Rezeption. Leider gestalten sich der Abend und die Nacht nicht wie erhofft. Junior erkrankt sehr und bekommt hohes Fieber. Im Nebenzimmer wird es laut, denn ein zwielichtiger Hundezüchter haust dort, mit dem Henry in einen folgenschweren Streit gerät, in dem das Bügeleisen zweckentfremdet wird. Vater und Sohn werden erneut in die Nacht hinausgetrieben und kämpfen um ihre Würde und ums Überleben.

Eine große Abrechnung mit der zerstörerischen Gier, die das kapitalistische System zerfrisst und das Individuum auf den Boden der Straßen wirft, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, auf dem Geldfluss mitzuschwimmen. Ein ergreifender und authentischer Text, der voller Hingabe zum Thema und zu seinen Figuren geschrieben ist. Ein erschütterndes Bild über Armut mit ihren Auswüchsen und Folgen in der Psyche, der Gesellschaft und im alltäglichen Leben.

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Eine Antwort zu “Jakob Guanzon: „Überfluss“

  1. Pingback: Jakob Guanzon - Überfluss - LiteraturReich

Hinterlasse einen Kommentar