Herbert Clyde Lewis: „Gentleman über Bord“

Eine Geschichte um einen, der über Bord geht und allein im Ozean auf seine Rettung hofft. Das Bild der Schiffbrüchigen, des Ertrinkenden und der Rettung auf eine einsame Insel gab es oft. Doch die Geschichte, die hier erzählt wird, ist anders und zeigt neben der spürbaren Einsamkeit auf hoher See den turbulenten Kosmos einer ganzen Gesellschaft anhand weniger Nebenfiguren.  

Endlich gibt es diesen Meeresklassiker in der deutschen Übersetzung. Der Roman wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Bonn und ist mit einem lesenswerten Nachwort von Jochen Schimmang (siehe im Leseschatz: „Laborschläfer“) versehen.

Ein wohlsituierter New Yorker Börsenmakler und Geschäftsmann stürzt mit seinen 35 Jahren in eine Sinnkrise. Er verlässt seine Kanzlei und seine Familie, um dem hektischen Alltag zu entkommen. Er bucht eine Schiffsreise. Nicht auf einem Luxusliner, sondern auf einem Frachter, der für wenige Passagiere Kabinen bereitstellt. Auch die Passage ist eine ungewöhnliche und geht durch wenig befahrenes und sehr ruhiges Gewässer. Er genießt die Schiffspassage und kommt zur Ruhe. Er betrachtet gerne die Sonnenunter- und Sonnenaufgänge und weiß sich gegenüber den Mitreisenden und dem Bordpersonal stets als Gentleman zu benehmen. Er ist ein Edelmann und mimt diesen in seiner fast schon biederen Art. Hier auf dem Schiff öffnet sich ihm ein neuer Horizont. Er nimmt sich Zeit, die anderen Menschen zu beobachten und mit diesen zu interagieren.

Er steht morgens zeitig auf, um seine Lieblingsplätze an Deck zu betreten und die Naturschauspiele zu beobachten. Vor dem Frühstück ist er somit schon draußen anzufinden. Am dreizehnten Tag an Bord der S.S Arabella passiert das Unglück. Er macht einen ungünstigen Schritt, rutscht auf einer Öllache aus und landet kopfüber im Ozean. Der kalte Aufprall lässt ihn vorerst den Schrecken vergessen. Dann erst setzt die Angst vor der Schiffsschraube ein und viel später die Angst vor dem einsamen Ertrinken. Erst ist ihm das Geschehene sehr peinlich. Wie konnte ihm, einem Gentleman, das passieren? Erst viel zu spät beginnt er zaghaft zu rufen, doch zu spät, das Schiff fährt weiter.

Er hofft im ruhigen Ozean, dass die Arabelle umdrehen wird, um ihn zu retten. Er geht davon aus, dass die Mitreisenden jetzt genauso an ihn denken wie er an sie. Sein Fehlen muss doch auffallen. Doch leider ist ein kleiner Streit an Bord ausgebrochen, die Mitreisenden sind gehemmt, genauer nach ihm zu fragen oder gehen von falschen Tatsachen aus. Bis er dann Stunden später doch vermisst wird.

Der Blick des auktorialen Erzählers verweilt beim Gentleman, der über Bord gegangen ist und den Menschen an Bord der Arabella. Dabei wird der Text zu einer großartigen Drama-Komödie. Denn die Menschen, die Passagiere, spiegeln die ganze amerikanische Gesellschaft. Die Welt an Bord des Schiffes reicht vom einfachen Farmer bis zu den Vertretern des moderneren Aktienhandels. Was passiert mit Menschen, die ihren sicheren Boden verlieren und kopfüber aus ihrer Scheinwelt fallen?

Eine schöne Wiederentdeckung und ein maritimer Leseschatz, der die Widersprüche der menschlichen Existenz einfängt.

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