
Das Buch strömt eine Faszination aus, die das innere Brachiale erklingen und erzittern lässt. Es ist tief verwurzelt in der Musikgeschichte und dem feministischen Aufschrei. Geschrien wird hier laut, denn diese Musikgeschichte basiert auf den tieferen und düsteren Kunstströmungen des Heavy Metal, dem Black Metal, der sich von Norwegen aus verbreitete. Diese Musik ist das Klangbild eines Aufschreis gegen das Konservative und orientiert sich am Heidnischen, Nihilistischen oder Misanthropischen. Der Musikaufbau, der durch Gitarrenriffs dominiert ist, ist zuweilen monoton, langsam und extrem schnell. Ein Wechselspiel, das bestimmte Emotionen heraufbeschwören möchte. Der Rhythmus trommelt von langsamen Passagen zu geballerten Doublebass und Blastbeats und der Gesang lebt von Gegrowle, gutturalem Gesang und von sehr hohem Schreien. Diese Musik erschließt sich einem nicht sofort und es bedarf eines genauen Hinhörens und eines sich Einstimmens in die Gefühlswelt, die meist düster und böse ist. Oft wird diese Kunst abgestempelt als primitiv oder sogar menschenverachtend, sinnlos zerstörerisch, narzisstisch und rassistisch. Doch ist es wie in jeder Kunst ein Bild, das von vielen getragen wird und lediglich provozieren möchte und sich nicht verallgemeinern lässt. Verstörend und faszinierend ist es aber ganz gewiss. Dies lässt sich auch auf den Roman von Jenny Hval anwenden.
Der Text liest sich traumwandlerisch, aber beginnt authentisch und hat zuweilen etwas Dokumentarisches. Es ist die Verwandlung einer Schülerin zu einer Frau, die auf sich schaut und auf ihren Weg. Ein Weg, der von kreativem Hass geprägt ist. In der Ortschaft, in der sie lebt und zur Schule geht, ist alles weiß. Der Schnee, die Regale und die Zäune. Auch der Glaube ist hell und bestimmend. Dies lässt sie ins Dunkle blicken. Doch aus der düsteren Betrachtung, dem egozentrischen Primitiven, wachsen eine Stärke und eine Solidarität. Die Gemeinschaft des Okkulten, des Feministischen und besonders der bleibenden Magie im Leben, die dies alles vereint. Als Schülerin verbindet sie ihren Alltagsblick mit dem Soundtrack des Black Metal und beschäftigt sich mit den Künstlern um Fenriz, Nocturno Culto und zum Beispiel Tom G. Warrior. Die meisten Musiker zieren sich mit Kunstnamen, um eine mystische, unheimliche Aura zu erzeugen. Das Bild ist hierbei oft ein Männliches. Somit webt der Roman einen Resonanzraum zwischen hell, dunkel, Frau und Mann. Der Titel ist ein Aufruf, den sie beständig wiederholt und ist dem wohl vergifteten Gottesbild unserer Gesellschaft geschuldet. Gott als strafende und richtende Macht, die oft auch dem Männlichem angepasst wird. Die spätere Frau wurde lediglich aus der Rippe des Mannes geschaffen. Somit ist dieser romanhafte Aufschrei ein fast schon logischer. Es kommt ein weiterer Aufschrei hinzu. In den Erinnerungen der Erzählerin rotiert alles: Gefühle, Gedanken und Geschichte. Sie betrachtet ihr Leben und streift dabei einen Hexenzirkel in Oslo und ein zeitreisender Edvard Munch kommt in die Stadt, um auch einer Band beizutreten. Band als Bild einer Musikgruppe oder auch als Verbindungslinie. Die Bilder beginnen fortan den Text zu dominieren. Munch wird von seiner Kunst, der „Pubertät“, verfolgt und die Naturmetaphorik des Black Metal und der wahren Umgebung verschluckt letztendlich etwas. Bei Munch denkt man oft an sein Werk „Der Schrei“. Doch auch dieses Werk spielt mit seinen Betrachtern. Denn wer oder was schreit hier wirklich? Die menschliche Figur hält sich die Ohren zu und reißt den Mund vor einem rot-gelben Himmel angstvoll auf. Somit schließt sich auch hier eines der Bilder, die dieser Roman erzeugt. Ein Spiel mit Ungewissheit und der Suche nach Menschlichkeit und Freiheit.
Ein Roman, der Körperliches neben das Geistige stellt, mit den Kontrasten spielt und die Polaritäten des Lebens erhellt. Ein Buch, das gleich der beschriebenen Musik, erschreckt, fasziniert und aus Beklemmungen befreien möchte. Kann Freiheit im Hass gefunden werden? Ein wahrlich kraftvoller Rausch, der uns in seinen Bann zu ziehen vermag. Die Vermischung ist hierbei auch in der Literatur gelungen: Autofiktionales mit bizarrer Kunst. Jenny Hval, geboren 1980 in Oslo, ist Musikerin und Autorin. Sie hat einige Platten aufgenommen, die mit Musikpreisen ausgezeichnet wurden. Auch ihre Romane werden nun gefeiert. „Gott hassen“ wurde aus dem Norwegischen von Clara Sondermann übersetzt.
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Klingt sehr spannend und ungewöhnlich. Freiheit und hass gehen vermutlich zusammen, das war mein erster Gedanke, der zweite sah dann anders aus-vielleicht ja doch. Abnabeln, Abgrenzen, verneinen und aus der Verneinung in die Freiheit.