Ulrike Schrimpf: „Lauter Ghosts“

Dieses Buch ist so furios und anders, dass man es konventionell liest, dann erkennt, daß es ein typischer Posting- und Kommentar- bzw. Chatverlauf ist und man blättert – vor und zurück –, um dann letztendlich doch alles chronologisch zu lesen. Im Höhepunkt wird der Text, wenn er die Realität streift, quer und gespalten. Erneut muss man sich in den Fluss einfinden, der dann gefunden, versucht ein Fundament zu bauen, um am Ende in den sozialen Netzen erneut zu einer Geistererscheinung zu werden. Das Buch spielt in einer Welt, die wir alle kennen und dann auch diese gänzlich verändert. Ein witziger und trauriger Kurztext, der durch seine Verspieltheit etwas ganz Neues kreiert und uns den Geist der Gegenwart erleben lässt.

Das World Wide Web und seine sozialen Netze sind ein neues Heim für uns alle geworden. Mehr oder weniger. Doch verselbständigt sich das dortige Sein und verändert uns gegenüber dem realen Leben. Zwei Menschen, die sich dort treffen und umeinander kreisen und sich dann eventuell treffen wollen. Treffen sie sich im wahren Leben? Was passiert in jener möglichen Nacht und was wird aus uns, wenn wir das Internet oder das wahre Leben verlassen. Sind wir Gespenster?

Die Kommunikationsplattformen bieten die Möglichkeit sich darzustellen, sich zu (er)finden und sich mit Gleichgesinnten zu verbinden und auch anonym zu verschwinden. Die Geister in diesem Roman nehmen immer mehr Gestalt an. Es sind Undine und Albert. Sie schreiben sich, nähern sich an. Posten, löschen und kommentieren. Andere lesen mit und interagieren. Auch wir werden Teil der Community und werden zu stillen Mitlesern. Beide tänzeln sprachlich umeinander und versprechen sich dabei. Die Postings sind Übungen für das wahre Leben. Die ersten Anrufversuche, die persönlichen Nachrichten sind Aufwärmversuche für das tatsächliche Treffen. Doch was ist das wirkliche Leben und was erlebt jeder persönlich dabei? Was, wenn das Leben doch nur eine Textdatei für den anderen ist und letztendlich doch die Einsamkeit obsiegt?

Dieser Roman ist ein Liebesroman, der sich ganz anders verhält. Er bedient sich des Leseverhaltens, das sich durch die sozialen Netze gebildet hat. Man scrollt sich hiermit durch die Geschichte und verliert sich dabei und das Gelesene verankert sich im eigenen Geist. Das Buch ist eine unerschöpfliche Quelle an etwas neuem und doch schon alltäglichem, das sich uns immer mehr selbstentfremdet oder doch vereint? Es geht um Zuneigung und die menschliche Begegnung. Eine Verbindung, die wo auch immer stattfinden mag. Zwei Liebende werden umspielt von Stimmen aus der WWW-Gemeinschaft, die wie ein griechischer Chor vom eigentlichen Drama singen. Doch ist dieser moderne Gesang auch unglaublich witzig, wenn es wiederum nicht so traurig wäre.

Beim Beenden regt sich der persönliche Geist und verklingt, um dann durch das erneute Blättern im Buch genau jenen zu beflügeln. Am Ende steht man da und ruft laut aus, was für ein Buch! Ein Printmedium, das die Metaebenen durch Inhalt und Form durcheinanderwirbelt. Am besten selbst erleben und sich dem Aufbau, dem Sprachklang und der Cleverness hingeben. Geist werden! (Zwinkerndes Emoticon)

Zum Buch in unserem Onlineshop

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