„Weißt du noch warum Parzival nichts gefragt hat?“
Bernhard Schlink spricht in seinem neuen Roman „Die Frau auf der Treppe“ große Themen an. Ein Buch, das sich mit der Kunst des Lebens auseinandersetzt. Es geht um Rechthaben, Mitleid, Besitz, Stolz, echte und falsche Nähe sowie Liebe.
Schlink malt in diesem Werk ein großes Bild über einen Mann, der seine festen Normen begreifen lernt und sich dann von diesen lösen muß. Gleich einem Waldbrand, der alles vernichtet, aber dadurch neues Wachstum zulassen kann.
Schlink, selber Jurist, schreibt in schöner, kurzer Prosa sehr verständlich und tiefgründig.
Der Hauptprotagonist erblickt in einer Ausstellung in Australien das berühmte Bild „Die Frau auf der Treppe“. Dieses Gemälde war lange verschollen und nun taucht es plötzlich in weiter Ferne wieder auf. Überraschend für die Kunstwelt, aber auch für die drei Männer, die diese Frau einst liebten – und sich von ihr betrogen fühlen. Er macht sich auf die Suche nach der Frau, die gemalt wurde. Denn er war damals als junger Rechtsanwalt in den Konflikt des Malers und des Eigentümers verstrickt. Beide kämpften um das Recht an dem Bild und um die Frau, die die Muse war. Der Anwalt wird persönlich in den Fall einbezogen und wird gleich Parzival, der die Prinzessin vor dem roten Ritter beschützen möchte, und verliebt sich in die Frau, die auf dem Bild dargestellt ist.
„Mein reiner Tor…du gehst durchs Leben und kämpfst deine Kämpfe, wie die Ritter…“
Die Frau selber, steigt wie im Bild die Treppe herab, flieht mit seiner Hilfe und kommt entblößt am Boden an und findet sich selber in einer fernen Welt.
„Für Gundlach war ich die junge, blonde, schöne Trophäe, bei der nur die Verpackung zählte. Für Schwind war ich Inspiration, auch dafür lange die Verpackung. Dann kamst du. Die dritte blöde Frauenrolle; nach dem Weibchen und der Muse die bedrohte Prinzessin, die vom Prinzen gerettet wird.“
Der Erzähler ist ein Mensch, der kalkuliert seinen Lebensweg geht, aber gleichzeitig, wie ein Ritter, gleich Parzival, mitten in die Handlung bricht und ab und zu seine Sehnsucht nach einem anderen Leben und einer anderen Welt erahnt.
„Seltsam, wie zwangsläufig mein Leben war und zuglich wie zufällig.“
In einer Bucht an der australischen Küste kommt es zu einem Wiedersehen. Sie ist auf der Suche nach dem, was Sie in den Menschen gesucht hat und nicht erwidert fand. „Einen, der etwas riskiert und mit dem ich etwas riskiere. Sogar das Leben.“ Die Männer wollen wiederhaben, was ihnen vermeintlich zusteht. Nur einer ergreift die Chance, der Frau neu zu begegnen, auch wenn ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Auch sind die einzelnen Wunden zu tief und in der ganzen Zeit nie ganz verwachsen und zu vielfältig.
„Die kleinen Splitter sind schwerer zu entfernen als die großen, und manchmal hilft alles Stochern mit der Nadel nicht, und wir müssen warten, bis sie herauseitern.“
Ein Roman über das Glück einer Liebe, die um Ihre Endlichkeit weiß. Die Handlungskonstellation ist sehr flüssig und die Geschichte um die komplexen Charaktere liest sich sehr spannend. Wie beiläufig webt Schlink große Themen intelligent in den Text ein und wirft moralische Grundfragen auf. Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Ein großer Roman, der gleich einem Bild beim kurzen Betrachten viele Anregungen im Betrachter bzw. Leser auslöst. Leider hat Schlink nur ab und zu etwas zu große Pinsel für die filigranen Zeichnungen verwendet…
„Was soll die Kunst ändern? Ich habe gemalt, was ich gesehen habe. Manchmal habe ich gesehen, was es nicht gibt, was es aber geben könnte, und auch das gemalt. Ich habe so gut gemalt wie möglich. Das ist alles.“
Das letzte Zitat ist schön gewählt. Passt gut zu Schlink selbst. 🙂
Ich habe übrigens auch was zum Buch geschrieben: http://popshot.over-blog.de/article-bernhard-schlink-die-frau-auf-der-treppe-124490918.html