Heðin Brú: „Vater und Sohn unterwegs“

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„Früher war man dankbar, wenn ein armer Mann etwas zu essen hatte und ein Dach über dem Kopf. Jetzt muss alles immer so großartig sein.“

Heðin Brú erzählt vom Leben auf den kargen Färöer Inseln. Wir tauchen ein in eine Welt, in der der Mensch einen entbehrungsreichen Alltag erlebt und von dem Leben muss, was er von der Natur bekommt. Ein Dasein zwischen Walfang, Torfstechen und Treibholz sammeln.

Die färöische Landschaft besteht aus bewirtschaftetem baumlosen Land mit Äckern und Heuwiesen, nicht bewirtschafteter wilder Heide- und Berglandschaft und der windumbrausten, felsigen Küste mit ihren Schären. Die traditionellen Behausungen waren Lehmhütten mit wenigen Stuben, in dem das Tier und der Mensch gemeinsam unterkamen. Das Dach war meist aus Birkenrinde, das lediglich mit Grassoden abgedeckt wurde. Gegessen wurde aus einem Topf in der einzigen Stube, in der eine Feuerstelle am Boden war. Selbst Besteck war in dieser Zeit noch reiner Luxus.

Der Roman beginnt, als der Teenager Kálvur und sein schon recht alter Vater Ketil unterwegs sind zu einer Grindwaljagd. Schon in dieser Eröffnungsszene zeigt sich das Thema des Buches, denn Vater und Sohn gehen zu Fuß über den Berg, um den Schauplatz zu erreichen. Kálvur schaut neidisch auf die vorbeifahrenden Autos. Es ist der Einbruch der Moderne in diese trostlose archaische und traditionsbewusste Welt. Ketil steht dieser Entwicklung sehr ablehnend und verständnislos gegenüber. Er folgt seinem Glauben und seiner Gewohnheit und lehrt seinen jüngsten Sohn ein ehrliches Leben in dieser Fischer- und Bauernwelt, das sich mit den Gegebenheiten der Natur arrangieren muss. Ketil ist ein Relikt aus dieser untergegangenen Zeit, der durch seine sture Weisheit, die aus Naturverbundenheit und festem Gottesglauben besteht, zum Sympathieträger des Romans wird.

Nach der Waljagd, die auf den Färöer Inseln Tradition sind, ist Ketil leicht angetrunken und kauft für seine Familie ein zu großes und viel zu teures Stück Walfleisch. Da nun diese zukünftige Zahlschuld ihre Existenz bedroht, versuchen Ketil und Kálvur auf diversen Wegen das fehlende Geld aufzutreiben, sei es durch den Verkauf von Fischen, Seehund, selbstgestrickten Pullovern oder das trostlose Holzsammeln. Ganz anders als seine älteren Söhne, die sich nach einem besseren Leben sehnen und lieber durch Kredite einen erkauften Wohlstand leben. Dieses Denken ist Ketil gänzlich fremd und nur die eine drohende Rechnung wird zu einer sehr großen Belastung für ihn, die ihn aber nicht davon abhält, auch die Steuerschulden seiner Kinder zu bezahlen, damit diese nicht aus ihren neuen Häusern gepfändet werden. Ketil kämpft einen tapferen und ehrenvollen Kampf um seine Ehre, die er sich nicht nehmen lassen will.

Ein nordischer Klassiker, der mir sehr literarisch eine Welt aufgezeigt hat, die mir sehr fremd ist. Gerade der brutale Umgang mit den Lebewesen und besonders die Waljagd haben mich aus heutiger Sicht und als Veganer sehr abgeschreckt. Aber gerade dies macht das Buch sehr besonders, denn es unterhält auf sehr hohem Niveau und regt sehr zum Denken an. Die Menschen waren damals in dieser Region abhängig von der Jagd die im Vergleich zu der modernen Industrie-Fischerei wohl noch etwas naturbezogener war. Dieser literarische Schatz kann sehr bereichernd sein. Heðin Brús „Vater und Sohn unterwegs“ ist einer der ersten Romane, in denen die färöische Sprache, die zuvor dem ländlichen Alltag und den traditionellen Volksliedern vorbehalten war, zur Literatur wurde.

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Guggolz

3 Kommentare

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3 Antworten zu “Heðin Brú: „Vater und Sohn unterwegs“

  1. Vielen Dank! Das ist ein Buchtipp ganz nach meinem Geschmack. Ich liebe die skandinavische Literatur. Die Gewalt gegen Wale ist für unsere Breite nur schwer nachvollziehen, aber ich meine, man sollte bedenken, dass die Nordeuropäer auf das Meer und die Lebewesen darin abhängig sind, sie sich den kärglichen Verhältnissen und oft widrigen Wetterbedingungen angepasst haben. In der Vergangenheit war es kein sinnloses Abschlachten, sondern nahezu jeder Teil des Tiers wurde verwertet. Mit der Zeit und zahlreichen Reisen in den Norden habe ich sehr viel Respekt vor den Nordländern. Viele Grüße!

  2. Pingback: Der Sonntagsleser -KW 13/2015 (Löwensuche, schlechte Buchgestaltung, Straßenliteratur und Weltliteratur als Graphic Novel) | Lesen macht glücklich

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