Ich dachte Cover-Versionen gibt es nur in der Musikindustrie. Auch als Cineast erlebe ich Neuverfilmungen. Oft sind – gerade in der Welt der Rock- und Popmusik die Originale die besseren – meiner Meinung nach. Ob es bei großen Stoffen der Weltliteratur gelingen mag, sollte jeder für sich nachempfinden. Ich hatte mit „Der weite Raum der Zeit“ von Jeanette Winterson, der Neuerzählung von „Das Wintermärchen“ von William Shakespeare, sehr viel Spaß.
Seit Jahrhunderten wird Shakespeare aufgeführt, interpretiert, verfilmt oder umgewandelt als Vorlage für Graphic Novels oder Romane. Das Hogarth Shakespeare Projekt bietet bekannten Autoren die Möglichkeit, ihre persönliche Neuerzählung eines Werkes von Shakespeare zu schreiben. Die Romane, diese Neuerzählungen, werden dann auch in über zwanzig Ländern erscheinen. Mit dabei sind u.a. Margaret Atwood (Der Sturm), Jo Nesbø (Macbeth), Tracy Chevalier (Othello), Anne Tyler (Der Widerspenstigen Zähmung) uvm.
Jeannette Winterson hat sich mit „Das Wintermärchen“ beschäftigt. Dieser Text von Shakespeare habe in ihr schon lange als Glücksbringer rumort. Winterson, die selbst schon viele Romane, Kinder- und Sachbücher geschrieben hatte, gibt an, dass ihre Arbeit oft um dieses Stück kreiste. Schön ist aber, dass man „Der weite Raum der Zeit“ ohne Kenntnisse des Originals lesen kann.
Denn wer erinnert sich genau an „Das Wintermärchen“?
Das Original:
„Das Wintermärchen“ ist eines der letzten Stücke von William Shakespeare. Es sind seine großen Themen: Liebe, Eifersucht, Ehre, Verblendung, Mord(gedanken). Leontes, König von Sizilien, ist von Eifersucht getrieben. Er ist sich sicher, dass seine Ehefrau Hermione, die ein Kind erwartet, ihn mit seinem Freund Polixenes betrügt. Auch die Vaterschaft stellt er in Frage. Die Ehe geht kaputt und die Freundschaft ist vorbei. Als die Tochter Perdita zur Welt kommt, wird diese von Leontes ausgesetzt und von Schäfern aufgezogen. Polixenes kann fliehen und Hermione wird für tot gehalten, lebt aber im Verborgenen. Sechzehn Jahre vergehen, in denen Leontes seine Tat bereut. Florizel, der Sohn von Polixenes, begegnet Perdita zufällig und beide verlieben sich. Das Paar flieht nach Sizilien, wo es von Leontes aufgenommen wird. Die Zeit scheint aufgehoben und die Figuren stürzen in ein neues Leben, was sie daraus machen ist dem weiten Raum der Zeit überlassen…
Man muss aber das Original nicht kennen, um Freude am Buch von Jeanette Winterson zu haben.
Das Cover:
Der Roman beginnt, denn irgendwo muss ja eine Geschichte beginnen, mit dem Barpianisten Shep (Schäfer), der mit seinem Sohn Zeuge eines herbeigeführten Unfalls mit einem tödlichen Ausgang wird. Sein Weg über das Krankenhaus lässt ihn bei der Babyklappe auf ein frisch ausgesetztes Kind stolpern.
König Leontes ist nun der Londoner Investmentbanker Leo, der mit MiMi (Hermione) verheiratet ist. Sie kennen sich aus Frankreich. MiMi ist eine schöne Sängerin aus Paris. Sie erwarten ihr zweites Kind aber Leo ist fest davon überzeugt, dass sein Jugendfreund Xenos eine Affäre mit seiner Frau hat. Er lässt diese auch in seiner krankhaften Eifersucht überwachen. Die Freundschaft zu Xenos, dem homosexuellen Spiele-Entwickler, geht kaputt. Leo ist so sehr verblendet, dass er auch alle gegenteiligen Beweise ausblendet. Er verstößt MiMi und kann seine neugeborene Tochter Perdita nicht als seine Tochter annehmen und will sie wegschaffen lassen. Durch einen glücklichen Zufall findet der Pianist Shep das Baby und nimmt es bei sich auf. Jahre später verliebt sich Perdita in Xenos einzigen Sohn. Beide machen sich auf die Reise in die Vergangenheit ihrer Herkunft. Ob der Bann der Vergangenheit endlich gebrochen werden kann, ist dem weiten Raum der Zeit überlassen und der Rest ist Schweigen…
Eine eindrucksvolle Adaption, die wenig Lärm um Shakespeare macht. Die Zeit zwischen den beiden Werken ist gleich der spielerischen Zeit in den Handlungen ausgedacht und später aufgehoben und sie verwebt sich. Auch wenn wir in einer moderneren Welt als Shakespeare leben, haben sich die emotionalen Themen seither nicht verändert. Die Bühnen sind wohl lediglich andere geworden. Sie sind schnelllebiger und visueller gleich den von Xenos entwickelten Computerspielen. Die Zeit als Faden der Handlung, der mal bricht, mal Kurven nimmt, aber am Ende doch alle Wunden heilen könnte…
„Ein jeder frag‘ und höre, welche Rolle
Wir in dem weiten Raum der Zeit gespielt,
Seit wir zuerst uns trennten. Folgt mir schnell!“
William Shakespeare (Das Wintermärchen)
Ich bin ja bei diesen literarischen Cover-Versionen immer ziemlich skeptisch. Die Hogarth-Shakespeare-Reihe finde ich aber sehr spannend. Bisher habe ich noch keinen Band gelesen, ich warte auf die ersten beiden englischen TB-Ausgaben. Deine Besprechung lässt mich aber hoffen, dass das Warten sich lohnt.
Liebe, Marion,
ich bin bei Literatur, Songs und Filmen bei Covern immer skeptisch 😉
Ich hoffe, Du hast dann auch Freude am Lesestoff.
Herzliche Grüße, Hauke
Lieber Hauke,
das klingt nach einem schönen Leseerlebnis. Shakespeare musste ich, wie so viele wahrscheinlich, in der Schule lesen und war schon damals begeistert. Nun habe ich seit ein paar Jahren gar nichts mehr von Shakespeare gelesen. Vielleicht wäre diese Adaption ein neuer Zugang zu dem Klassiker. Außerdem gefällt mir das Cover des Covers. 😉
Liebe Grüße
Juliane
Liebe Juliane,
ich hoffe, Du hast dann auch viel Freude mit der Cover-Version 😉
Ich denke bei Shakespeare oft auch an Rockmusik
– Oft gehört:
When shall we three meet again?
In thunder, lightning, or in rain?
(u.a. Bruce Dickinson – Tyranny of Souls)
Liebe Grüße, Hauke
Ich bin schon ganz gespannt und muss voller Scham zugeben, dass ich keines der von dir aufgezählten Lieder kenne. Aber das kann ich ja dann im Zuge der Lektüre vielleicht noch nachholen! 🙂
Shakespeare mochte ich schon immer gerne, auch in Verfilmungen, besonders wenn Emma Thompson mitspielt wie in „Much ado about nothing“. Das Wintermärchen war mit nicht mehr geläufig, danke für deine Zusammenfassung. Jeanette Wintersons Version hört sich toll an und ich werde sie bestimmt lesen. Liebe Grüße von Gisela von den Vorlesern (www.dievorleser.blogspot.de)
Hallo Gisela,
die Verfilmungen von Kenneth Branagh sind klasse. „Much ado about nothing“ haben wir auf DVD und sehen es sehr gerne…“Juchheissassa erklinge“. Danke für Deine Rückmeldung! Herzliche Grüße, Hauke
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