Reinhard Kaiser-Mühlecke: „Fremde Seele, dunkler Wald“

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Ein stiller Roman, in dem das Tragische sich fast wie nebenbei einwebt. Es ist die Geschichte zweier Bauernsöhne aus Österreich, die auf den ersten Blick unterschiedlich erscheinen, aber sich doch in vielen Charaktereigenschaften und Wesenszügen ähneln.  Beide, unterschiedlich alt, sind dennoch jung und wollen sich vom Hof der Familie abnabeln. Als junger Mensch möchten sie etwas anderes machen, nur was? Sie möchten weg, nur wohin?

Es wirkt, als würden die Charaktere immer sichtbarer, und durch die kunstvolle, aber dosierte Sprache und Emotion, baut sich langsam jener dunkle Wald auf mit den fremden Seelen. Der Titel ist dem Zitat von Iwan Turgenjew entnommen: „Du weißt ja, eine fremde Seele ist wie ein dunkler Wald.“ So sind auch die Protagonisten sich gegenseitig fremd, obwohl es familiäre Bindungen gibt.

Die Geschichte springt hauptsächlich zwischen den beiden Brüdern Alexander und Jakob hin und her. Sie sind beide auf einem Bauernhof in Österreich groß geworden. Alexander, der ältere, suchte anfänglich seinen Seelenhalt in der Religion. Er ging auf eine Klosterschule, legte dann aber doch den Wunsch Priester zu werden beiseite und ging zur Armee. Er ist nun mit seiner Truppe im Auslandseinsatz im Kosovo und kehrt selten nach Hause zurück. Jakob als jüngstes Familienmitglied erledigt still die Arbeiten auf dem Hof. Er ist geschickt im Handwerk und in der Landwirtschaft. Doch erwirtschaftet der Hof schon länger viel zu wenig. Die Großeltern, die ebenfalls auf dem Hof leben, scheinen vermögend zu sein, wollen aber nicht mehr investieren. Es ist ein Mehrgenerationenhaushalt, in dem eher geschwiegen wird und alle leben zusammen aber nicht miteinander. Es ist eine notwendige Zweckgemeinschaft, in der jeder für sich wie ein einzelner, verlassener Baum in einem schattigen Wald steht. Der Vater verrennt sich in seinen dubiosen Geschäftsideen und verliert mehr Geld, als dass er einen finanziellen Beitrag für die Familie erbringt. Im Gegenteil, Stück für Stück verkauft er das Land und am Ende sogar die Tiere.

Alexander und Jakob suchen beide für sich eine Befreiung aus dieser familiären Beklemmung. Alexander fühlt sich vorerst in der Ferne als Soldat wohl. Bis er auch dies in Frage stellen muss und eine Versetzung beantragt, die wie erwartet abgelehnt wird. Alexanders erste Liebe war ein Mädchen, die nun als erwachsene Frau eine religiöse Gruppe gegründet hat, über die in der Ortschaft sehr viel geredet wird. In Alexander keimt die Sehnsucht nach Liebe und Verbundenheit. Diese findet er später, als er bereits im Ministerium in Wien tätig ist, in der Frau seines Vorgesetzten. Alexander und Jakob werden gelebt ohne selbstbestimmt zu leben. Jakob, der ein Mädchen schwängert, die er eigentlich nicht ausstehen kann, zieht mit dieser aus Pflichtgefühl zusammen. Bei den Beziehungen der Brüder schlägt erneut das Schicksal neue Möglichkeiten für die Beteiligten vor.

Die Geschichte wird nicht überladen erzählt, eher im Gegenteil schleichen sich die Handlungsfäden und Schicksalswendungen wie nebenbei in die Sätze und Handlung ein. Der Selbstmord eines Freundes von Jakob weckt in ihm tiefe Schuldgefühle. Ferner gibt es einen brutalen Mord in der Umgebung. Der Mörder ist schnell gefasst und geständig, doch hat dieser Fall anscheinend auch etwas mit der Vergangenheit der Brüder zu tun. Der Auslöser für den Mord scheint aus der religiösen Verbindung zu kommen. Als der Großvater stirbt, hoffen alle auf ihren Anteil am Erbe und die Blicke richten sich auf die Großmutter.

Es ist die Geschichte von Menschen, die lieblos erscheinen und doch Anerkennung und Liebe suchen. Die Figuren wirken kühl und vom Leben distanziert und resigniert. Doch je tiefer man in den Text eintaucht, sprudelt die Verzweiflung, die Suche nach dem Sinn des Ganzen aus den Brüdern und hinterlässt beim Leser ein Gefühl der Beklemmung und Bereicherung. Gerade am Ende des Textes schlägt man das Buch zu, reflektiert das Gelesene und verweilt ein Stück in der Hoffnung, alles richtig mitbekommen zu haben.  Das einfache Landleben wird aufgebrochen durch den Versuch zu entkommen und das gewöhnliche Miteinander und die einschleichende Gewalt bekommen durch die Sprache des Romans denselben Stellenwert. Die Charaktere sind durch das Land und Sehnsüchte verbunden und ähneln sich, wobei sie auf den ersten Blick so unterschiedlich wirken. Es sind alle getrieben von der Suche nach Heimat. Der Weg der Entfremdung zur Einigkeit in der Gemeinschaft, in der Religion und in der Liebe.

Ein intensiver Leseschatz, der nominiert ist für den österreichischen Buchpreis und auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis steht.

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