Robert Menasse: „Die Hauptstadt“

Robert Menasse Die Hauptstadt Suhrkamp Verlag

Robert Menasse treibt ein Schwein durch Brüssel. Denn in Brüssel laufen alle Handlungsstränge und Fäden zusammen und ein Schwein durch die Straßen. Es ist ein Buchpreisnominiertes Werk, denn es steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2017. Der promovierte Autor aus Österreich ist ein engagierter Europäer und Befürworter eines Europas ohne Nationen. Begeisternd war bereits sein Werk „Die Vertreibung aus der Hölle“, ein Roman, der einen Umgang mit Geschichte darstellt. Sein aktuelles Werk ist ein europäischer Roman und begeistert erneut. Ein elegant geschriebener, toll konstruierter und ironischer Text.

„Zusammenhänge müssen nicht wirklich bestehen, aber ohne sie würde alles zerfallen.“

Es beginnt mit dem Schwein. Es läuft durch die Straßen von Brüssel und alle wundern sich: Wo kommt es her? Was will es? Es kreuzt viele Wege und somit lernen wir die verschiedensten Charaktere kennen. So ist das Tier eines der Verbindungen jener Menschen in der europäischen Hauptstadt. Das Schwein aber auch als makabres Bild: Es geht um Aufzucht, Haltung, Schlachtung, Weiterverarbeitung und Nutzung bis hin zum Export aller Fleisch- und Organpartien der armen Sau. Dabei wird allein das Tier ein politisches Sinnbild der unterschiedlichsten Europäischen Kommissionen.

David de Vriend sieht es als erster. Er lässt seinen Blick durch das Fenster schweifen und bevor er die Wohnung für immer verlässt, sieht er das vorbeilaufende Schwein. In Folge begegnen alle Hauptfiguren des Romans dem Schwein und wundern sich oder kommen sogar zu Fall. Da sind unter anderem: David de Vriend, ein Auschwitz-Überlebender, der in einem Altenheim dahinvegetiert, Kai-Uwe Frigge, ein Büroleiter in der Generaldirektion für Handel, Fenia Xenopoulou, eine aus Griechenland kommende Direktionsleiterin für die eher belächelte Generaldirektion Kultur,  Matek Oswiecki, ein religiöser Mörder, Alois Erhart, ein Wirtschaftstheoretiker, Martin Susman, der Abteilungsleiter der Generaldirektion Kultur, Florian Susman, der Bruder von Martin und Schweinezüchter, sowie Vorstand des europäischen Berufsverbandes für Schweinezucht und Émile Brunfaut, der Brüsseler Kommissar.

Das Image der EU soll aufpoliert werden und es soll ein Feiertag ins Leben gerufen werden, der das Ansehen der Kommission verbessert. Finia Xenopoulou, die mit der Generaldirektion Kultur hadert, erhofft sich einen Karrieresprung und nimmt sich der Aufgabe an. Der Geburtstag der Kommission soll groß gefeiert werden und sie fordert ihr Team auf, Ideen für den Festakt zu sammeln. Martin Susman, ein EU-Beamter, reist während der Arbeit am Projekt nach Ausschwitz und bekommt eine Idee, die aber später in den Mühlen der Bürokratie zermahlen wird. David de Vriend, der dem Deportationszug, der seine Eltern in den Tod führte, entkommen konnte, soll seine Geschichte bezeugen, bevor diese in Vergessenheit gerät und gänzlich mit ihm stillschweigend beerdigt wird.

Der Polizeikommissar Brunfaut kommt ebenfalls in eine schwierige Situation. In dem Hotel Atlas ist ein Mord, eher eine Hinrichtung, geschehen. Als er und sein Team ermitteln, wird er gebeten, den Fall aus politischen Gründen auf sich beruhen zu lassen. Als er die Unterlagen, wie angeordnet, zu den Akten legen möchte, sind diese und die Ordner bereits alle verschwunden…

Das Leben in diesem literarischen Brüssel lebt aus Bürokratie und nimmt bizarre Formen an. Es geht soweit, dass eine europäische Hauptstadt angedacht wird, die auf den Liegenschaften der Gedenkstätte von Auschwitz gebaut werden soll. Und in Brüssel? Rennt immer noch das Schwein und alle fragen sich, woher es kommt, wohin es will und welchen Namen man ihm geben soll. So viel darf wohl verraten werden, das Schwein verschwindet aus der Handlung und was in Brüssel passierte, ist uns allen bekannt. Doch, so viel sei verraten, am Ende steht: „Á survive“…

„Wenn etwas zerfällt, muss es Zusammenhänge gegeben haben.“

Die Figuren sind ein Spiegel auf uns Leser und wir benötigen für Europäische Gemeinschaft keine Einzelkämpfer, sondern der Zusammenhalt funktioniert nur durch Menschlichkeit, Hingabe, Offenheit, Kreativität und Lust, sowie Mut auf und für die Zukunft.

Ein toller Roman, der wohl sehr gute Chancen für den Buchpreis hat.

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3 Kommentare

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3 Antworten zu “Robert Menasse: „Die Hauptstadt“

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  2. LIeber Hauke,
    die Chancen auf den Buchpreis kann ich nur unterstreichen: ein toller Roman, ironisch-bissig, aber auch sehr ernst.
    Viele Grüße, Claudia

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