Frank Rudkoffsky: „Fake“

Frank Rudkoffsky Fake Voland & Quist

Ein junges Paar, das für sich jeweils Ventile sucht. Sophia und Jan sind Eltern geworden, das Baby, Max, ist ein Schreikind. Sophia pausiert in ihrer Karriere und Jan hofft auf eine als Journalist. Beide toben sich im Internet aus und das Spiel zwischen Wahrheit und Fake gerät gefährlich ins Wanken.

Frank Rudkoffsky, Autor, Journalist, Blogger und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift ]trash[pool, hat einen klugen, besonderen, modernen und pointierten Roman geschrieben. Er spiegelt unsere Welt leicht überspitzt und öffnet damit viele Perspektiven. Durch die Sprache und die Situationen entsteht auch oft ein Witz, der Situationskomik und auch schwarzer Humor sein kann. Somit ist der Roman „Fake“ eine tragikomisches Werk mit sehr viel Empathie und Tiefgang.

Eigentlich träumten beide von Karriere und der ganzen Welt. Die Welt ist eine Karte an der Wand geblieben, auf der Sie ihre Weltreise lediglich in Gedanken machen. Sie kennen sich aus der Großstadt Berlin und die Arbeit von Sophia verschlägt sie nach Stuttgart. Sie hat bis zu Ihrer Schwangerschaft bei Daimler gearbeitet. Jan macht ein Volontariat bei der Stuttgarter Zeitung und hofft auf eine Einstellung. Doch auf die ausgeschriebene Stelle ist auch ein Kollege aus, der dann letztendlich eine andere Laufbahn betritt, von der Jan weiterhin nur träumen darf. Auch die offene Stelle in der Redaktion wird extern belegt. Sophia sehnt sich ab und zu nach Ruhe, denn Max verlangt viel Aufmerksamkeit und muss ständig bemuttert werden. Leider fehlt überall das `Bevatern´. Das Stillen ist meist auf eine Brust beschränkt und sehr schmerzhaft. An gemeinsame Pärchen-Stunden ist gar nicht zu denken. Sex ist nach der Geburt auch noch eine ferne Sehnsucht. Immer wenn Sophia eine helfende Hand gebrauchen könnte, muß Jan noch etwas redigieren. Beide entfremden sich stückweise und benötigen jeder für sich einen Fluchtpunkt oder ein Ventil für das emotional Aufgestaute. Jan beginnt zu laufen. Anfänglich noch viel zu schnell, aber er kann sich kontinuierlich steigern. Sophia regt sich virtuell ab. Ihre innere Verzweiflung und Wut lässt sie im Internet platzen. In diversen Foren, zum Beispiel auf Facebook, tummelt sie sich unter diversen Fake-Profilen, die sie tabellarisch für sich festhält. Sie wird zum Internet-Troll und beginnt die Onlinewelt zu triezen, zu provozieren und zu beschimpfen. Sie steigert sich in ihre Rollen hinein und wird danach fast schon süchtig – auch wenn ab und zu eines ihrer Profile gesperrt wird.

Jan hat für seine Recherchen ebenfalls falsche Identitäten im Internet angemeldet. Er stößt dabei auf eine Welt, die noch weiter im Hass verankert ist. Diese Parallelwelt, die mit der Pegida ihren Anfang nahm, wird immer bizarrer, menschenverachtender und bedrohlicher. Sophia hat eine von Jan stillgelegte Identität übernommen und schmückt diese mit einer unheilbaren Krankheit, um auch endlich mal Mitgefühl zu erfahren. Dabei löst sie aber auch etwas aus, dass sie nicht geahnt hätte. Die Aktionen von Jan setzen ebenfalls einiges frei und beide, Jan und Sophia, verlieren ihren menschlichen Kompass. Beide geraten in den Bann von Trollen. Aktiv oder passiv und bringen das Wohl ihrer Familie immer mehr in Gefahr.

Der Roman hat eine sehr große Faszination. Es wird stets aus der Ich-Perspektive erzählt, jeweils im Kapitelwechsel zwischen Jan oder Sophia. Der Inhalt ist ein moderner Zerrspiegel unserer virtuellen und realen Gesellschaft. Das Tragische an der Komik des Textes ist, dass man als Leser sehr oft über die Postings von Sophie lacht. Sei es, wenn sie in einer Muttergruppe fragt, ob man besser vorher abpumpt oder auf dem Himalaya, in der Höhe, das Baby normal stillen könne oder bei ihrer Frage an PETA, wie ihnen denn ihr neuer Pelzmantel gefalle. Ein harmloses Spiel kann sich sehr schnell verselbständigen und die Grenze zwischen Fake und Wahrheit, Virtuellem und Realem verwischen sich.

Frank Rudkoffsky kann sich sehr tief in die Gedanken- und Gefühlswelt seiner Protagonisten einfühlen und diese gekonnt wiedergeben. Die gesellschaftlichen Ausbrüche und Entgleisungen am Beispiel unseres Umgangs untereinander im Internet wirken erschreckend. Diese sind aber wohl doch nur dezent in der Übertreibung und nah an der Realität. Die Wut und der Frust als Triebfeder, die hier nachfühlbar wird, aber andere Perspektiven ermöglichen sollte. Denn nicht alle Menschen verstecken sich hinter Gefaketem, sondern versuchen authentisch zu sein und zu bleiben. Es gibt auch im Text und im wahren Leben Momente der Liebe, des Zuhörens und der Stille. Ein lesenswerter, kluger Leseschatz!

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2 Antworten zu “Frank Rudkoffsky: „Fake“

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