Frank Rudkoffsky: „Mittnachtstraße“

Ein Roman, der das Kleine ganz groß werden lässt und dabei literarisch unsere Gesellschaft seziert. Frank Rudkoffsky hat nach „Fake“ erneut einen klugen und pointierten Roman geschrieben, der unsere gegenwärtige Welt widerspiegelt. Voller zerbrechlicher Egos, die sich wegen der empfundenen Nichtigkeit größer machen wollen. Somit ist es ein Werk über Machtstrukturen, Befindlichkeiten und Konflikte. Die „Mittnachtstraße“ gibt es in Stuttgart, ist aber eine wegweisende Metapher. Die beschriebene Haltestelle und der Verweis auf die Kleingartenanlage schaffen den Raum für den sozialen Handlungsort. Sehr vielen Themen spürt Frank Rudkoffsky in seinem Roman nach. Dabei überlädt er den Inhalt niemals. Es wirkt nicht gekünstelt, weil es Themen sind, die uns tagtäglich begegnen können. Ferner sind die Charaktere authentisch entworfen und entfalten sich im Verlauf ungemein. Die Generationsfrage steht dabei im Mittelpunkt. Jede Generation deklariert für sich, es besser zu wissen und zu können als die vorherige. Wäre dem so, hätte die Menschheit wohl bereits größere Fortschritte machen können. Können wir überhaupt in der Gegenwart noch gut handeln? Malte, der Protagonist zählte sich zumindest immer zu den Guten bis ihm alles aus den Händen entgleitet und alles aus den Fugen gerät.

Die Probleme, die ihn beschäftigen sind vielfältig. Seine Tätigkeit als Journalist hat ihn ausgebrannt und die Arbeit erfüllt ihn nicht mehr. Seine Ehe kriselt und er und seine Frau reagieren oft überreizt. Seine Frau, die gerade eine eigene Apotheke gegründet hat, arbeitet mehr als vorher. Die Kinder fordern somit auf ihre Weise die Aufmerksamkeit der Eltern. Die kleine Tochter hat ihre besonderen Bedürfnisse und entwickelt die familientypischen Wutausbrüche. Der pubertierende Sohn sieht in Malte einen Heuchler und Versager. Maltes Vater, der zu cholerischen Wutausbrüchen neigt, war nie eine gute Bezugsperson und taucht nach einer langen Zeit plötzlich wieder auf. Um sich der ganzen Verantwortung und den Belastungen, besonders denen durch das Auftauchen des kranken Vaters, zu entziehen, geht Malte in ein selbstauferlegtes Exil. Gerade an den Ort, den er stark verachtet und mit negativen Erinnerungen belegt. Der jetzt verwahrloste Kleingarten seines Vaters. In dem dortigen Häuschen ist der Vater, dessen Umfeld und sein Geruch allgegenwärtig. Doch Maltes größtes Problem ist er selbst. Beständig steht er sich selbst im Weg und will sich seine Depression nicht eingestehen. Innerhalb der Familie gärt nun das Gift, das von Generation zu Generation weiterverabreicht wird. Der Kosmos einer Kleingartenanlage ist ein wuchernder Schauplatz, in dem unsere Gesellschaft verwurzelt ist.

Ein Roman der ganz genau hinsieht und das, was uns umtreibt, kunstvoll beschreibt. Sehr einfühlsam und wirklichkeitsnah erleben wir die Widersprüche, die Verzweiflungen und Krisen unserer Zeit. Generations- und geschlechtsunabhängig sind wir nah miteinander verbunden. Ein beeindruckender neuer Roman von Frank Rudkoffsky, der mehr Nähe und Emotionen zulässt als sein vorheriges Werk „Fake“.

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Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “Frank Rudkoffsky: „Mittnachtstraße“

  1. Da hast Du ja mal wieder einen echten Schatz entdeckt;)

    LG

    Beata

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