
Eine Wiederbelebung eines Klassikers, der großartige Lesestunden verspricht. Die Handlung spielt nebulös mit dem Urgedanken der Schöpfungskraft und erzählt nebenbei eine Liebesgeschichte. Ein unglaublich verspielter Text, der irrwitzig und philosophisch zugleich ist. Das Werk ist eine Berauschung und spielt kunstvoll mit dem bekannten Literaturverständnis. Die vorliegende Lebensgeschichte ist bravourös erzählt. Die Kunst, die Vernebelung des Lebens aufklaren zu lassen, hat diverse Mitstreiter animiert. Jonathan Carroll hat sich für „Das Land des Lachens“ wohl durch die Auflehnung der Figuren gegenüber dem Verfasser, gleich wie zum Beispiel Flann O’Brien “ In Schwimmen-zwei-Vögel“ inspirieren lassen. Der Spanier Miguel de Unamuno (1864-1936) schrieb „Niebla“ 1914 und legte 1935 eine revidierte Fassung vor. Nun erscheint „Nebel“ erneut in der Übersetzung von Otto Buek, Roberto de Hollanda und Stefan Weidle. Zwei Vorworte, ein Nach-Vorwort und dann noch ein Nachwort von Wilhelm Muster ummanteln den Text und vertiefen die unbeschreibliche Lesefreude.
Das Figurenspiel beginnt eines Tages vor der Haustür von Augusto Pérez. Ein wohlhabender, alleinstehender Mann, der sich nun fragt, in welche Richtung er spazieren möchte. Seine vornehme Haltung verharrt mit dem Blick gen Himmel. Wenn es regnen sollte, gelten seine Gedanken dem mitgeführten Schirm. Ein Objekt, das aus seiner ungenutzten Schönheit entrollt werden müsste, ist ihm ein Graul. So hadert er im Leben beständig. Sein Weg ist nicht durchdacht, sondern den Launen entsprungen. Auch die Entscheidung, ob er sich jetzt nach links oder rechts wenden soll, wird ihm von einer anmutigen Frau, die vorbeischreitet, abgenommen. Der innere Monolog des Müßiggängers wird ganz von der weiblichen Erscheinung eingenommen. Er folgt ihr und meint, sich in Folge verliebt zu haben. Die angebetete Frau ist Eugenia, eine Klavierlehrerin, die die Musik verachtet. Sie ist ihrerseits in den arbeitsfaulen Neffen der Portiersfrau verliebt. Durch die Begegnung mit Eugenia hat Augusto Pérez einen Mephisto-Trank getrunken, er ihm nun die Schönheit der Frauen vor Augen führt und er die Liebe überall zu finden vermag. Doch gilt sein Verliebtsein besonders jener unerreichbaren Eugenia. Seine Liebes- und Lebensverwirrung bespricht er mit allen in seinem Wirkungskreis, auch mit der ihm zugewandten Wäscherin Rosario. Da seine Hochzeitspläne scheitern, wendet sich Augusto Pérez nach diversen Anläufen und Verwicklungen verzweifelt an Miguel de Unamuno, seinen Autor.
Die Selbständigkeit des Lebens scheint ein Spiel zu sein. Am Ende bleibt lediglich die einseitige Kommunikation mit Orpheus dem Hund von Augusto Pérez. Was ist Liebe? Was ist der Sinn des Lebens und woher stammt die Schöpfungskraft? In den Monologen, dem Zwiegespräch zwischen Schöpfer und Schöpfung, geht es um fast alles. Der Nebel soll gelichtet werden.
„Das gehört alles zusammen, mein Herr, das ist alles eins: Anarchismus, Esperanto, Spiritismus, Vegetarismus, Phonetik … Das ist alles ein und dieselbe Sache. Krieg der Autorität! Krieg den vielen Sprachen! Krieg der gemeinen Materie und dem Tod! Krieg dem Fleisch! Krieg den h´s! – Und nun: Leben Sie wohl.“
Ein Weltklassiker gespickt mit wunderbaren Figuren. Müßiggänger und unter anderem mystische Anarchisten bespielen diese Lebensbühne. Eine phantastische Tragikomödie, die den melancholischen Witz perfektioniert und dabei pure Lesefreude versprüht. Das Buch, diese Wiederbelebung und Entdeckung, ist ein Ereignis.
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