Delphine de Vigan: „Dankbarkeiten“

Delphine De Vigan Dankbarkeiten Dumont

Nach dem großartigen Roman „Loyalitäten“ lehrt uns nun Delphine de Vigan die Dankbarkeit. Was passiert mit uns, wenn das Vergessen beginnt? Das Vergessen in der persönlichen oder der gesellschaftlichen Geschichte. Was, wenn wir wortlos werden? Es liegt an uns, das Vergangene nicht dem Vergessen zu überlassen und die Geschichte sich nicht wiederholen zu lassen.

Wie oft sind wir dankbar? Wann haben wir zuletzt ein ernstgemeintes und herzlich empfundenes „Danke“ gesagt? Nach dieser Lektüre möchte man sich einreihen und ein tief empfundenes Danke sagen. Danke für dieses tolle Buch!

Delphine de Vigan schreibt erneut über die Menschlichkeit. Doch geht sie jetzt noch viel feinfühliger und fast schon zärtlicher mit ihrer Geschichte und den Figuren um. Der kurzweilige Text ist in sich verknappt und aus den entsprechenden Perspektiven erzählt. Dabei eröffnet sich langsam ein sprachlos machendes Ganzes und berührt am Ende sehr.

Es ist die Geschichte von Michka, die bisher ein unabhängiges Leben führte. Sie, die sehr sprachbegabt war, muss langsam feststellen, dass ihr die Worte verloren gehen. Mit ihrem voranschreitenden Alter wird das Alleinleben immer schwieriger. Sie wird trotz ihrer geistigen Verfassung verbal tüttelig. Sie glaubt, wichtige Dinge zu verlieren und sucht oft nach den richtigen Worten. Wenn sie diese nicht findet, ersetzt sie die Begriffe durch ähnlich klingende. Die junge Marie besucht Michka oft und kümmert sich. Früher war es anders, da war Michka noch die sorgende Nachbarin für Marie. Als es für Michka immer gefährlicher wird alleine zu sein, zieht sie in ein betreutes Seniorenheim. Ihr Verlust der Selbständigkeit manifestiert sich auch in ihren Träumen, in denen sie meist klar sprechen kann. Das neue Umfeld mit der eigenen Ordnung macht es Michka nicht leicht, sich heimisch zu fühlen. Zum Glück besucht Marie sie weiterhin. Die Heimmonotonie bekommt einen großen Lichtblick durch den Logopäden Jérôme, der sich auch liebenswürdig um Michka sorgt, ihren Sprachverlust leider aber nicht aufzuhalten vermag.

Michka hat einen großen Wunsch und bittet, Marie eine Anzeige aufzugeben, um ein Ehepaar ausfindig zu machen, dem sie ihr Leben zu verdanken hat. Doch auch eine erneute Suchanzeige bleibt erfolglos. Wird es dennoch möglich sein, dass Michka ihrer Dankbarkeit Ausdruck geben kann? Durch das Kennenlernen dieser drei Menschen wird für Marie und Jérôme immer deutlicher, wie wichtig der Kontakt zu Menschen ist. Zuneigung, Verständnis und Herzlichkeit sind Grundlagen des menschlichen Miteinanders. Gerade wenn sich ein Vergessen einschleicht, das gesellschaftlich nicht tragbar wäre. Egal wie alt man ist, menschliches Miteinander, Anteilnahme, Fürsorge, Zuneigung und Dankbarkeit sind wichtige Grundlagen im Leben jedes einzelnen Menschen.

Mit geringen Worten und mit wenig Raum erschafft Delphine de Vigan Welten, die sie mit feinfühligem und tiefgründigem Personal ausstattet. Man lernt durch den Text, sich zumindest innerlich bei den Menschen zu bedanken, die einem geholfen haben, man selbst werden zu dürfen und zu können. Aus dem Französischen wurde dieses besondere Buch von Doris Heinemann übersetzt.

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