Dinçer Güçyeter: „Unser Deutschlandmärchen“

Ein Roman mit vielen Stimmen. Ein Märchen, das die Welt bunter macht und nicht schwarzweiß malt. Es ist die Geschichte einer Familie, türkischer Griechen, die uns im Chorgesang ihre Erinnerungen vortragen. Aufgezeichnet von Dinçer Güçyeter, der den Frauen seiner Familie eine Stimme gibt und selbst auf der Suche nach Worten seine Sprache gefunden hat. Es ist ein Roman, denn wenn das Erlebte zur Poesie wird, verweben sich Erinnerung, Wahrheit mit Literatur. Der Roman ist eine lyrische Welt, die die Wahrheit in der eigenen Geschichte sucht.

Dinçer Güçyeter ist ein Sprachkünstler, dem Emotionen wichtiger sind als gekünsteltes Wissen. Wenn man ihn kennt, weiß man, in ihm schlummert Schüchternes und Extrovertiertes. Er lebt und liebt die Kunst, die Lyrik und die Kraft und die Wirkung des Wortes. Entstanden ist ein Roman in seinem ganz eigenen Klangbild, der nichts verschönt: Vergewaltigung, Missverständnisse, Armut und diverse Konflikte. Die Handlung erstreckt sich vom Anfang des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Erzählt wird in Bildern, Träumen, Gebeten und in Monologen sowie Dialogen. Die Prosa wird dabei zur Poesie.

Dinçer Güçyeter, der für seine Gedichte ausgezeichnet wurde und Verleger ist, hat nun seinen ersten Roman geschrieben. Wie seine Sprache zur Kunst wird, werden auch er und seine Familie zu Kunstfiguren, die lebendig werden und die Geschichte von Gastarbeitern erzählen. Verwurzelt ist die Geschichte in anatolischem Leben. In der Hoffnung dem kalten Boden und der Armut zu entkommen und der Familie etwas zurückgeben zu können, wird Fatma, die Tochter von Hanife, mit einem Mann verheiratet, der sein Glück in Deutschland sucht. In Deutschland, so ist noch der Glaube, könne man den Wohlstand von den Bäumen pflücken. Die Einsicht, dass alle Menschen auf derselben Welt tanzen, wird aber auch in der Ferne entromantisiert. Der Mensch wird eingeordnet und abgestempelt. Das Lied des Buches singt von der Herausforderung als Gastarbeiter und deren Nachkommen, die in Deutschland ein neues Leben beginnen wollen. Das Fremdsein bleibt ein beständiges Gefühl, in der Sprache, den Menschen und den Gewohnheiten. Der Vater hat durch dubiose Geschäfte einen enormen Schuldenberg und seine Kneipe macht nicht genug Gewinne. Fatma arbeitet viel in den Fabriken und Feldern. Auch  Dinçer, ihr Sohn, möchte bereits als Kind seinen Teil dazu beitragen und beginnt auf den Höfen mitzuarbeiten. Später macht er eine Ausbildung als Werkzeugmechaniker, doch seine Liebe gilt den Künsten.

Ein Roman, der vieles verbindet. Kulturen und Menschen. Er öffnet Welten und lädt ein, diese besser verstehen zu lernen. Er verbindet diverse Schreibstile und Stimmen und macht das Erzählte zu etwas sehr eigenem. Ein lyrischer Roman, der ein bodenständiges Märchen erzählt, das uns von Schatten, aber auch von der Buntheit zu berichten weiß.

Dinçer Güçyeter und sein Lektor Wolfgang Schiffer

Zum Buch in unserem Onlineshop

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