
Lyrik ist Wortspiel, Verknappung und Verdichtung des zu Sagenden und der transportierten Emotionen. Gedankenspiele und Bilder werden durch Laut, Rhythmus und Form zu einem persönlichen Einblick und Erlebnis.
In diesem Beitrag sollen drei Bände in Kurzform erwähnt werden, die gänzlich unterschiedlich sind und doch von der Konzeption Ähnlichkeiten aufweisen. Der Lebensfluss, der körperlich wird, um dann vergeistigt im Text auszuklingen.
Siljarosa Schletterer: „azur ton nähe“
Flüsse und Gewässer sind bereits oft besungen worden und tauchen beständig als Naturphänomen in der Lyrik und Literatur auf. Wasser als Lebenselixier oder als wegreißende Gefahr. Bäche und Ströme als Lebensadern der Welt. Es gibt das ruhige, klare Wasser, aber auch das überschäumende Gewässer, das Lehm und Lebensraum mit sich reißt. Diesem Kaleidoskop des Wassers spürt Siljarosa Schletterer in ihrem Band nach. Sie vertont die jeweils eigene Sprache der Fluss- und Seenlandschaft Mitteleuropas. Dabei wandelt sich das Nature Writing in einen eigenen, wässrigen Klang und wird letztendlich zu einer Nähe, die unsere Menschlichkeit miteinbindet. Siljarosa Schletterer ist Autorin und Kulturvermittlerin. Ihr ist das Verbindende stets wichtig: Musik und Sprache, Wissenschaft und Kunst, Natur und Mensch. Ihre Gegenwartslyrik wird umrahmt durch die Bilder von Franz Wassermann.
Sünne Lewejohann: „als ich noch ein tier war“
In diesem Band pulsiert eine Körperlichkeit, die eine Wehmut und Wut ausstrahlt, die nach einer toxischen Beziehung entstanden ist. Dabei gärt das Tierische im Unterbewussten der erzählenden Stimme, die Schmerz oder Zorn zu Explosion bringt. Sehnsucht nach Liebe und Abgrenzungen klingen gleichwertig nebeneinander. Der Reigen geht von der Erkenntnis Tierisches zu empfinden bis zum Abtöten des inneren Untieres. Somit ist der Weg ein Weg der Heilung nach emotionaler und sexualisierter Gewalt. Machtmissbrauch und Rollenmuster greifen ein in diese Seelenwelten, verursachen Fluchtgedanken und transferieren Trauer in Wut und letztendliche Befreiung. Abgerundet wird das Buch durch Zeichnungen der Autorin. Sünje Lewejohann, geboren in Flensburg, veröffentlichte einen Roman und ihre Lyrik wurde bereits ausgezeichnet.
J. Heinrich Heikamp: „Geradewegs gehen wir“
Das letzte Büchlein in dieser Vorstellung birgt ebenfalls einen Fluss, der eher ein Bach ist. Der Gill ist ein Bach, der sich gerne mal als Fluss tarnt. So sind auch die Gedichte und Aphorismen von Heinrich Heikamp mal verspielt naiv und dann auch wieder mit einer schlummernden Tiefe gesegnet. Es sind Verse die mit dem Lebenssinn spielen. Dabei schimmert auch zuweilen Humor durch das Geschriebene. Durch das Naive erklingt auch dabei leichte Selbstkritik und gibt der Einfachheit etwas Sympathisches. Es ist eine Reise durch das Lyrikverständnis des Autors. J. Heinrich Heikamp, Jahrgang 1964, ist Verleger, Kulturmanager und Schriftsteller.
Alle drei Werke sind Lebenswege, die Persönliches in Klangemotion verwandeln und Naturmetaphorik verwenden. Die ersten sind Gedichte, die sich durch häufigeres Erlesen erst gänzlich zu entfalten verstehen. Dabei sind diese Werke Konzepte, die jeweils als ein Ganzes zu lesen und zu verstehen sind. Denn alle eint eine Achse der persönlichen Entwicklung.
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