Aya Cissoko: „Kein Kind von Nichts und Niemand“

Ein Schreibprozess wie ein Apnoe-Training. Beim Schreiben hat Aya Cissoko geübt so wenig an Luft zu verbrauchen wie möglich, ohne dass ihr Körper leidet. Dadurch wollte sie sich ins Bewusstsein führen, warum wir zuweilen schweigen, plötzlich wütend werden und wie wir unser Leiden zu oft in Einsamkeit ertragen. Denn wenn uns die Worte fehlen, wir um diese ringen und letztendlich doch das Risiko eingehen, etwas zu sagen, zu etwas Gesagtem gegenhalten, kann dies zu neuer Wut, zu neuem Leid oder zu neuer beherrschter oder unbeherrschter Stille führen. Aya Cissoko nimmt sich die Kraft und schreibt. Zusammen mit ihren früheren Büchern „Danbé“ und „Ma“ ergibt das neue Werk ein Triptychon. Sie schreibt ihre Familiengeschichte weiter und aus einem Brief an die Tochter wurde dieses Buch. Erneut verneigt sie sich, da sie selbst Mutter geworden ist, vor ihrer Mutter, die für sie eine Heldin ist. Der Titel ist ein Satz ihrer Mutter. Kein Kind von Nichts und Niemand. Man ist jemand und ist stets Teil einer ganzen Geschichte. Diese Geschichte erzählt Aya Cissoko in ihren drei Büchern, die jedes für sich gelesen werden können.  

Aya Cissoko versucht, die Wurzeln ihrer eigenen Geschichte und den in der Gesellschaft verwurzelten Rassismus zu fassen. Ein Text, der sich an die Tochter wendet, aber durch die Intensität uns alle angeht. Wieweit trägt jede Generation die Geschichte weiter und kann sich von der vorherigen Generation abgrenzen? Haben wir den Kolonialismus und den Holocaust überwunden? Aya Cissoko wurde 1978 als Kind malischer Eltern in Paris geboren. Sie schreibt über die Vorurteile und Urteile, denen schwarze Menschen täglich ausgesetzt sind. Die Hautfarbe, der Körper und die Existenz als schwarze Frau sind politisch. Somit wird das Leben ein beständiger Überlebenskampf. Gleich einem Boxkampf, in dem man angreift, sich schützt und den Gegner tänzelnd aus der Reserve lockt. Sie will lernen, den Hass zu kanalisieren. Dies gelingt Aya Cissoko durch das Boxen. Diese Art, den Schmerz auszudrücken, macht sie erfolgreich und zwei Mal holt sie sich den Weltmeistertitel im Kickboxen. Durch einen Halswirbelbruch gezwungen, sucht sie neue Kanäle und findet zur Literatur. Ihre Geschichte ist es, die fesselt. Ihr erstes Buch „Danbé“ wurde auch bereits mit dem Titel „Wohin ich gehe“ verfilmt.

Mit acht Jahren wird ihre Familie Opfer eines Brandanschlages, in dem ihr Vater und die Schwester verbrennen. Schlagartig verändert sich alles. Der Rassismus prägt die Welt und Aya rebelliert gegen alles. Gegen Traditionen, Ungerechtigkeit und die Politik. Sie wird als schwarze Frau als solche angesprochen und schreibt über diese tief empfundene Schande, die diskriminierte Menschen empfinden. Sie analysiert dabei die Gesellschaft, die Assimilationspolitik und die Hierarchien in der sozialen Umgebung und in den Gedanken der Menschen. Ein Buch über Analysen, Empfindungen und die familiäre Spurensuche. Beginnend bei ihren Vorfahren, dem Stamm der Bambara in Mali, die gegen die Kolonialisierung gekämpft haben und der aktuellen französischen Gesellschaft. Der Vater ihres Kindes stammt aus einer Familie aschkenasischer Juden und somit berührt auch der Holocaust diese Geschichte. 

Ein bewegendes Buch, das einen aufwühlt und von einer wichtigen Stimme der Gegenwartsliteratur verfasst wurde. Ein Werk über Ausgrenzung und Diskriminierung. Ein Aufruf, den persönlichen Mut zu finden, nicht mehr zu schweigen. Aus dem Französischen übersetzt wurde das Buch von Beate Thill.

Zum Buch in unserem Onlineshop

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