Richard Russo: „Mohawk“

Dieser Roman ist ein großer Wegbereiter für das Gesamtwerk von Richard Russo. Es ist der Debütroman, der jetzt zum ersten Mal in der deutschen Übersetzung erscheint. Übersetzt von Monika Köpfer. Der erste Roman zeigt bereits den literarischen und tiefgründigen Blick des Pulitzer-Preisträgers. Richard Russo blickt stets auf das kleine Leben, um ein großes Gesamtbild zu entwerfen. Seine Betrachtungen verweilen oft in amerikanischen Kleinstädten, um daraus eine Gesellschaftsanalyse zu kreieren. Dabei schwanken die Betrachtungen, Charakterisierungen und Dialoge zwischen Drama und Komik. Russos Romane und Erzählungen sind geprägt durch Melancholie, Witz, Tiefgang und Empathie. Auch sein Erstlingswerk „Mohawk“ ist bereits durch das großartig gezeichnete Personal ein bedeutender amerikanischer Roman und, wie John Irving sagt, „zu gut für einen ersten Roman“.

Die Handlung spielt in Mohawk, Upstate New York, Ende der Sechzigerjahre. Die Stadt liegt im Hinterland und alles, was diese Ortschaft einst lebens- und liebenswert machte, verfällt. Die Menschen, die hier noch verweilen, haben sich arrangiert mit den gegenwärtigen einfachen Lebensbedingungen. Mohawk verdankte seinen damaligen Aufstieg der Lederindustrie. Doch die Landschaft und die Bewohner zahlen ihren Preis für den damaligen Aufschwung. Das Wasser scheint toxisch zu sein und auch in den Gemütern keimt stets etwas Misstrauisches. Die Lederproduktion hat sich immer weiter reduziert und nun herrscht mehr Armut als erhoffter Wohlstand. Auch ist hier die Krebsrate um einiges höher als im Rest von Amerika. Wer hier lebt, hat gelernt, dass man sich große Zukunftsträume nicht leisten kann.  

Anne Grouse ist mit ihrem Sohn zurückgekehrt. Sie hatte Pläne, doch ist sie nun wieder ein Teil der Gemeinde Mohawk. Ihre Eltern leben dort und mit ihrer Mutter hat sie stets andere Meinungen über die Pflege ihres kranken Vaters. Ihre Ehe mit Dallas Younger liegt in Scherben und sie muß sich um ihren Sohn, Randall, kümmern. Randall ist eigentlich ein guter Schüler, doch will er nicht in der Kleinstadtschule auffallen und schreibt bewusst Fehler in seine Tests, damit er nicht zu strebsam wirkt. Doch fällt er dennoch auf und bekommt in der Schule Probleme. Bereits als junge Frau hatte Anne Dallas nicht so sehr geliebt wie Dan Wood, den späteren Ehemann ihrer Cousine. Dallas spürt die fehlende Liebe und verliert sich in der technischen Zuneigung zu seinem Auto und dem Glücksspiel. In Dans Leben gab es einen großen Schicksalsschlag, der ihm gesundheitlich weiterhin zu schaffen macht. Auch die Krankheit von Mather Grouse, Annes Vater, hat ihren Ursprung und zeigt sich stets atemlos, wenn Rory Gaffney, ebenso ein damaliger Lederarbeiter, die Szenerie betritt. Eine unterschwellige Fehde zwischen den Familien Grouse und den Gaffneys scheint sich erneut zuzuspitzen. Doch Randall befreundet sich mit dem geistig zurückgebliebenen Jungen von Rory, den alle nur Wild Bill nennen. Alle leben nicht das Leben, das sie sich erträumten. Dallas sorgt sich nach dem Tod seines Bruders um dessen Frau und fühlt sich bei ihr mehr als heimisch. Anne hat ihre große Liebe bisher nicht aufgeben können und auch Wild Bill ist heimlich verliebt.

Eine Kleinstadt, in der sich wahrlich alle um sich selbst drehen, um einigermaßen im Leben Fuß fassen zu können. Im Mittelpunkt ist der Mohawk Grill, in dem sich alle zum Trinken oder Glücksspiel treffen. Der Glaube an ein besseres Leben webt durch die Gemüter und gibt doch nur Nahrung für Zweifel und Niedergeschlagenheit in der verfallenden Kulisse der Kleinstadt. Doch gibt es auch stets lebensspendende Hoffnung und ganz viel Humor. Ab der ersten Szene ist man mit den Charakteren an Mohawk gefesselt. Man horcht genau hin und beginnt stets zu schmunzeln und zu grübeln. Was Russo perfektioniert hat, und dies bereits im Debütroman, ist der melancholische Witz – hier schließt sich erneut der Kreis zu John Irving.

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