„Auch wenn mein Körper mit dem Verbandmull der Informationen zugestopft und die Seele längst aus der Mode ist, heile ich meine Wunden und lindere meine Schmerzen noch immer mit Pflanzen.“
Ein neues Buch von Deborah Levy, die mich schon mit „Heim schwimmen“ begeistert hat. Noch immer gibt es Bücher, die durch ihren Inhalt und die Gestaltung signalisieren, daß das Lesen ein sinnlicher Vorgang ist…
In „Black Vodka“ sind zehn Kurzgeschichten, die alle durch ihre Knappheit und Verdichtung der Story fesseln. Gerade diese Form der Erzählung passt in unsere heutige Zeit, die geprägt ist von der kurzen Aufmerksamkeitspanne vieler Leser.
Deborah Levy sticht in die Brüche unseres heutigen Bewusstseins. Sie schreibt in einer messerscharfen Präzision über die Risse und Wunden der Gesellschaft und taucht in diese ein, um diese literarisch zum Bersten zu bringen.
Jede Geschichte liest sich gleich einem Drink. Durchsichtige kalte Flüssigkeit, die in der Kehle brennt und im Kopf einen unangenehmen Nebel hinterlässt. Ein Drink, der in einem Zug getrunken, zu schnell den Kopf benebelt. Langsam genossen, verdunstet die unausgesprochene Idee…
„Black Vodka trinken heißt, um unser Leben trauern“
Es sind europäische Schauplätze die belebt werden von Weltbürgern, die nicht genau wissen wohin sie gehören. Immer auf der Suche, als würden sie stets warten, wo kein Bus fährt…
Es sind moderne Menschen, die fürchten, sie könnten nicht alles im Griff haben. Sie verlieren sich in den geschluckten Emotionen, die gleich dem Drink erst Wohligkeit versprechen, dann aber durch ungeübten Umgang Übelkeit verursachen. Bis es zu einer explosionsartigen Entleerung kommen kann…
Die Suche der Einsamen nach Geborgenheit. Menschen, die am Flughafen vergessen, ob sie auf die Ankunfts- oder Abflugsanzeige schauen müssen. Menschen, die beim Kennenlernen schon an den Abschied denken und gar nicht erst hinter der coolen Fassade hervorkriechen. Die fürchten, sie könnten nicht cool genug sein. Das Reisen kann auch eine Flucht aus einer Beziehung sein.
Inmitten eines modernen und oft humorvollen Alltags tut sich stets unmerklich ein Graben auf, den der Leser jedoch leicht überlesen aber auch mit Distanz überwinden könnte. Es gibt immer eine Möglichkeit zum Wandel, zu neuen Chancen… Dies ist das durchgängige Thema in den Werken von Deborah Levy, das sich auch bereits am Umschlag des Buches zeigt. Der Riss, der kleine Bruch im oberen linken Rand im Foto der seelisch verletzen Frau mit offener Bluse.
Der Stil von Deborah Levy ist wohldosiert, sie erzählt in einer knappen, eleganten Sprache. Vieles bleibt in den Tiefen des Textes verborgen. Es liegt am Leser, die Brüche zu finden und sie zu entziffern.
Ein tolles Buch mit leichter Melancholie, die einen nebligen Nachgeschmack im Leser hinterlässt.
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