Zeruya Shalev: „Schmerz“

Berlin Verlag Shalev Schmerz

Wiedermal hat Zeruya Shalev einen Roman geschrieben, der gänzlich in die Tiefe geht, der sich sprachlich abhebt und beim Lesen eine bannende Stimmung aufkommen lässt. Es ist die Sprache, die fesselt und einen in der Handlung vorantreibt. Eine kluge, tiefgründige Studie menschlicher Empfindungen, Wünsche und Schicksale. Ein Roman über Liebe und Wunden. Beide können Schmerz verursachen. Schmerz, der seelisch ist, kann körperlich werden und körperlicher Schmerz kann seelischen Schaden hinterlassen.

Es ist wieder ein sehr persönliches Buch, denn Iris, die Protagonistin überlebt einen Terroranschlag. Sie hatte gerade ihre Kinder zur Schule gebracht. Eigentlich sollte ihr Mann die Kinder bringen, doch er musste in seine Firma, ausnahmsweise so früh am Morgen. Als sie wieder auf dem Heimweg ist und einen Bus überholen möchte, wird dieser durch einen Attentäter gesprengt und reißt viele in den Tod.
Zehn Jahre später lebt sie in ihrer Karriere auf und leitet eine Schule. Ihre Kinder sind erwachsen und die Tochter verlässt bereits das Elternhaus. Iris ist zwar in ihr altes Leben zurückgekehrt, doch leidet sie unter unerträglichen Schmerzen. Ihr Mann steht ihr immer zur Seite, doch ist es ein unterkühltes Miteinander. Sie leben zusammen, aber bleiben auch jeder für sich. Gerade als die Tochter auszieht, übernachtet Iris immer häufiger in dem Kinderzimmer.

„Die Privatsphäre für jeden Einzelnen haben sie gewonnen, doch sie haben es nicht geschafft, die Gemeinschaftsbereiche mit Leben zu füllen…“

Ihr Leben gerät immer mehr ins Straucheln, als sie in der Klinik von einem Schmerztherapeuten untersucht wird. In ihm erkennt sie ihre damalige große Liebe, Eitan. Er war die Liebe ihrer Jugend. Sie stand ihm damals rührend zur Seite, als er sich um seine sterbende Mutter kümmerte. Als diese verstarb, wollte er einen Neubeginn machen, in der für Iris kein Platz war.
Diese Wunde, die Eitan ihr damit zugefügt hat, schmerzt sie gleich der körperlichen, die ihr der Selbstmordattentäter zugefügt hat. Doch fühlt sie sich erneut von ihm angezogen. Sie versucht für sich auszuloten, was und wo ihre Liebe ist. Sie entflieht der Ehe. In ihr nagt auch das Ungewisse: warum hat sie damals die Kinder zur Schule gebracht und nicht, wie sonst ihr Mann? Warum musste er genau an jenem Tag früh aus dem Haus?

Ein tiefgreifendes Psychogramm. Shalev ist eine genaue Beobachterin und unglaublich tolle Autorin. Viele Sätze möchte man unterstreichen und bewahren. Ein Buch über Emotionen, Schmerz, Liebe und deren Wunden.

Wiedermal ist es Shalev gelungen, die verwundete Seelenwelt einer Frau zu schildern, die wohl vieles ihrer eigenen Biographie in sich birgt. Das Attentat, das sie selbst überlebte und ihre Mutter, die immer von ihrer großen Liebe, die nicht ihr Vater war, schwärmte. Was passiert, fragt sich Shalev, wenn man dieser erneut begegnet und verfällt?

Ein sehr lesenswerter Roman, der sprachlich sowie inhaltlich sehr zu fesseln weiß. Erneut aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler (Hila Blum, Ahorn Appelfeld und Amos Oz)

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