Anthony Doerr: „Memory Wall“

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Anthony Doerr, preisgekrönter Autor, der mit seinem Roman „Alles Licht, das wir nicht sehen“ begeisterte, beschäftigt sich in dieser Novelle mit dem Erinnern. Was sind Erinnerungen für uns? Unser Leben besteht aus Erlebtem und bildet uns zu dem, was wir sind. Was bleibt uns, wenn z.B. durch Krankheit das Gedächtnis unzuverlässig ist oder ganz versagt?

Was sind unsere Museen? Was bedeuten uns die gesammelten Fossilien und Scherben alter Tage? Versteinerungen und Ablagerungen sind das Gedächtnis der Erde und deren Bewohnern. Alles ist ein Versuch der Vernichtung und dem Vergessen zu trotzen.

„Wir alle werden langsam in den Dreck herabgezogen. Wir alle kommen zurück in die Erde. Bis wir uns in Lichtbändern wieder erheben.“

Demenz heißt alles verlernen und die räumliche und zeitliche Verwirrung nistet sich schleichend in einem ein. Man verlernt kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten. So auch die 74-jährige Alma Konachek, die in einem Vorort von Kapstadt lebt. Sie verliert ihr Gedächtnis und hat vor wenigen Jahren ihren Mann verloren. Sie bekommt tägliche Unterstützung durch ihren Pfleger Pheko. Ferner wurde in einer medizinischen Institution ein Erinnerungsbewahrer erfunden. Neben ihrer Erinnerungswand, an der sie Fotos, Notizen und Erinnerungsfetzen für sich notierte, kann man in dieser Einrichtung seine Erinnerungen auf eine Art Kassette konservieren. Dafür werden den Menschen operativ vier Ports in den Kopf implantiert. Mit Hilfe dieser Ports werden Momente und Erinnerungen gespeichert, die man nun jederzeit wieder besuchen, aufrufen, d.h. abrufen kann.

Was aber wenn andere sich dieser Erinnerungen aneignen können? Es gibt Erinnerungszapfer, die diese Erinnerungen stehlen und für ihre Zwecke missbrauchen.

Almas verstorbener Ehemann hatte im Alter eine Leidenschaft für Versteinerungen und Fossilien entwickelt. Dabei scheint er kurz vor seinem Tod eine kostbare Entdeckung in der Karoo-Wüste gemacht zu haben. Bei ihrem letzten gemeinsamen Ausflug in die Wüste hat Harold ein unbeschädigtes, versteinertes Skelett eines Sauriers, eines sehr großen Gorgonops longifrons, gefunden.

Alma, die nur tagsüber von Pheko betreut wird, bekommt neuerdings nachts ungebetene Gäste. Roger, der hoch verschuldet ist, hofft nun auf die Erinnerungen von Alma, denn so ein Fossilien-Fund könnte ihn schnell sehr reich machen. Sein Handlanger, der Junge Luvo, ist als Erinnerungszapfer ausgerüstet, d.h. er hat ebenfalls die vier Ports implantiert bekommen. Dadurch dass Luvo in den Erinnerungen von Fremden sucht und er diese verinnerlicht, nimmt er nun die tragische Rolle in der fortlaufenden Handlung ein. Körperlich und seelisch leidet er durch die Erinnerungsdiebstähle, doch wird er fündig und macht sich alleine auf den Weg in die Wüste…

Diese Novelle ist sehr sinnlich, tiefgründig und sprachlich sehr schön geschrieben. Der kurzweilige Text benötigt seinen Raum im Leser und wird wohl auch eine Erinnerung bleiben.

Zum Buch

2 Kommentare

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2 Antworten zu “Anthony Doerr: „Memory Wall“

  1. Danke für die schöne Buchbesprechung! Jetzt fühle ich mich noch mehr darin bestärkt, diese Novelle zu lesen. 🙂

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