Tomás González: „Was das Meer ihnen vorschlug“

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Ein kurzer sprachgewaltiger Roman, der sich auftürmt wie ein Unwetter auf hoher See. Gleich einer griechischen Tragödie mit auftretenden Chören und Naturgewalten, die den Menschen vor ihr Schicksal stellen. Ein Spiel der Gewalten und der aufsteigenden Emotionen. Leidenschaft, Familienzugehörigkeit, Liebe und Hass als Wechselspiel vor einem anbrausenden Unwetter, das alles verändern kann…

Der Roman spielt an einem Wochenende im Stundentakt. In kurzen Kapiteln, die jeweils die voranschreitende Uhrzeit angeben und somit den Countdown zum Ausbruch auf hoher See anzeigen, erleben wir in tropischer Kulisse, in Kolumbien, einen Vater und seine Söhne beim Fischen. Der Vater behandelt seine Zwillingssöhne mit Verachtung. Er hat eine einfache aber gut laufende Ferienanlage direkt am Strand aufgebaut und die erwachsenen Söhne leiten die Küche und haben einen eigenen Laden im Ort gegründet. Doch stehen beide unter der Fuchtel des Vaters, der diese als Versager betrachtet und auch sehr abwertend behandelt. Beide Söhne sind unterschiedlich, der eine ein handwerklich und technisch begabter Mann, der sich aber in seinen Hass hineinsteigert und der andere ein belesener, kluger und besonnener Mensch.

Der Vater plant bereits, die Ferienanlage zu verkaufen und pflegt seine Liebschaften in der Ortschaft. Seine Frau, die Mutter der beiden Söhne ist geistig erkrankt und stellt in dieser archaischen Welt einen der Gegenpole dar. Die Dreierbeziehung der Männer ist geprägt von Demütigungen und Grobheit. Die Mutter wird heimgesucht von Stimmen, die ähnlich einer griechischen Tragödie im Chorgesang auf sie einsprechen und das nahende Unheil herbeisingen. Denn trotz des nahenden Sturmes, fährt der Vater mit den Söhnen hinaus zum Fischen. Die auf dem Meer geschilderten Ereignisse werden stets unterbrochen von wechselnden Erzählerstimmen. Mal ist es die Mutter, die spricht, aber auch die Beobachtungen der Urlauber kommen zu Wort. Durch das Zuspitzen der negativen Stimmung auf dem Boot und den nahenden Sturm wird die Atmosphäre immer dichter und der Spannungsbogen wird durch die einzelnen Unterbrechungen der verschiedenen Stimmen hinausgezögert.  Denn als der Sturm das Boot erreicht, geht der Vater über Bord und die Brüder erkennen ihre zweifelhafte Möglichkeit…

Ein dichter atmosphärischer Roman. Ein sprach- und naturgewaltiger Text, der an antike Tragödien erinnert; Gesänge durch Chöre und verschiedene Stimmen und eine Mutter, die gleich einem Orakel phantasiert. Der Fischfang als Bild der Gier und der heranbrausende Sturm als Begleitung der aufbrausenden Gefühle auf dem Fischerboot bis es zu einer Entladung kommt…

Ein spannender Roman über Maßlosigkeit, Familie und Charaktere, die sich in ihre Emotionen hineinsteigern. Eher eine Novelle, die aber inhaltlich und sprachlich Größeres beinhaltet.

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