Ein Werk mit unglaublicher Sogkraft und einer erzählerischen Dichte um New Yorks dunkelste Nacht. In Amerika wurde der Autor als eine neue Stimme der amerikanischen Gegenwartsliteratur gefeiert. Ein Werk, zu dessen Besprechungen oft Dickens als Vergleich herhalten musste. Aber auch ich habe für das Buch Feuer gefangen.
1977 legte ein Stromausfall ganz New York lahm und die Folgen waren katastrophal. Besonders in den ärmeren Vierteln und Gegenden. Es gab Horden, die unzählige Geschäfte plünderten und viele Feuer legten. Dies ist der Ausgang für das komplexe Werk, dessen Hauptprotagonist wohl die Stadt New York selbst ist.
Der Autor hat sechs Jahre an dem vorliegenden Buch gearbeitet. Es ist ein Mammutwerk geworden, das in der wechselnden Perspektive der Protagonisten das sich zuspitzende Drama erzählt und Spannung gleich einem Thriller aufbaut. Erst dachte ich, das Werk würde einen mit seinem Umfang und seiner Dichte erschlagen, doch dann wurden mir die doch eigentlich wenigen Protagonisten immer vertrauter und die unterschiedlichen Erzählstimmungen und Perspektiven haben mich für das Buch gewonnen. Auch ist das Werk unterbrochen durch handschriftliche Briefe, Notizbucheinträge und dem Punk-Fanmagazin eines der Charaktere.
Benötigt die Stadt einen nahenden Schneesturm und den Stromausfall, um in ein Chaos zu versinken? Lebt die ewige Stadt nicht gerade durch den Lärm, den Schmutz, die Graffitis und die Jugendbanden? New York durchlebte eine Finanzkrise und die Kriminalität und Armut wuchsen in den 70ern dramatisch. Es ist aber auch die Stadt der Künstler, der Träumer, der Unternehmer und stets das Sinnbild einer lebendigen Weltmetropole.
Die Handlung beginnt mit einem Weihnachtsbaum. Mercer Goodman, einziger afro-amerikanischer Lehrer an einer Mädchenschule, der heimlich an einem Roman arbeitet, hat mit seinem Lebenspartner William einen sehr großen Baum erworben, den sie nun mehr oder weniger begeistert in der gemeinsamen Wohnung aufstellen. William Hamilton-Sweeney lebt seine Punkattitüde und war auch als Billy Three-Stick der Sänger der ehemaligen Punkband „Ex Post Facto“. Was Mercer immer schon ahnte, zeigt sich durch ein zufälliges Treffen mit Regan Hamilton-Sweeney, der Schwester seines Liebhabers, nämlich dass dieser ein schwerreicher Erbe ist. Doch hat er mit dieser Welt gebrochen und weigert sich die Familienfeierlichkeiten aufzusuchen. Diese Einladung nimmt aber Mercer an, um endlich mehr über seinen Freund zu erfahren. Mercer taucht bei der Neujahresfeier der Familie Hamilton-Sweeney auf und wird vorerst durch seine Hautfarbe als Personal angesehen. Als er mit Regan auf dem Balkon steht, sie zusammen einen Joint rauchen und auf den Central Park schauen, hören sie von dort Schüsse.
Charlie Weisberger liebt die Punkmusik, weil er in Samantha Cicciaro verliebt ist. Diese nimmt Charlie mit zu einem Konzert der neuen „ Ex Post Facto“-Band, lässt ihn dann aber wieder alleine, denn sie hat eine Beziehung zu einem älteren Mann. Dieser Mann ist Keith Lamplighter, der mit Regan Hamilton-Sweeney zwei Kinder hat. Er und Sam hatten sich verabredet und doch bleibt Sam alleine im Central Park, als die Schüsse fallen…
Die Protagonisten sind in der Stadt verstreut, während die Handlung sich zuspitzt. Der Schneesturm zieht auf, ein Feuerwerk erleuchtet den Himmel und im Central Park liegt jemand erschossen im Schnee. Nach dem Stromausfall und dem Finale im Dunkeln ist kein Leben wie zuvor…
Es werden in dem Werk viele Geschichten erzählt, die sich alle immer mehr verbinden. Es werden die Milieus anhand der Figuren liebevoll beleuchtet und lebendig. Der Vater von Sam verkörpert die Arbeiterschicht. Er ist italienischer Herkunft und ist noch einer der alten Feuerwerksbastler. Die materielle Finanzwelt wird verkörpert durch den Hamilton- Sweeney-Clan. Dieser prallt auf die Punkbewegung. Das Buch ist eine Studie, die viel will, es meiner Meinung nach auch schafft und durch die erzählte Kunst, selbst zu solcher wird.
Eigentlich kann ich mit diesem Leseeindruck nicht alles wiedergeben und erzählen. Das Werk will erobert werden und bietet viel Raum für eigene Entdeckungen. Eventuell liegt hier der große amerikanische Roman vor, von dem Mercer stets träumt?
Klasse Besprechung, Hauke. Das Buch stand zwar ohnehin auf dem Wunschzettel, tönt jetzt aber noch vielversprechender. Bleibt nur noch die Frage, ob ich aufs TB warten kann oder nicht.
Das klingt verlockend.
Danke für Eure Kommentare.
Das klingt nicht nur verlockend und wirkt bestimmt mehr, wenn man es als gebunden Ausgabe inhaliert… Liebe Grüße, Hauke
Du machst mich nun doch neugierig. Ich war zuvor etwas skeptisch, weil ich nicht gern auf Lobeshymnen auf dicke Wälzer reinfalle und mich dann ärgere. Aber das Buch bleibt dann mal auf der Wunschliste. Viele Grüße
Das hört sich wirklich gut an, ich werde es auf die Liste schreiben. Vielen Dank für die tolle Besprechung!
Dankeschön!
Ich wünsche erlesene Stunden… herzliche Grüße, Hauke
Pingback: Blogbummel April 2016 – buchpost
Ich habe das Buch auch gerne gelesen, hatte aber nicht unbedingt die Spannung erlebt, die Du beschrieben hast. Eine sehr gute Besprechung von Dir, die auch mehr auf das Buch und die Charaktere eingeht, als es viele Besprechung aus ‚offiziellen‘ Quellen tun. Gerne hänge ich meine Besprechung von unserem Blog als Link dran (Ein wenig Eigenwerbung :-))
Aber das Buch ist es auf jeden Fall wert gelesen zu werden (auch haptisch:-)) https://feinerbuchstoff.wordpress.com/2016/06/18/nyc/